Nicht Fisch, nicht Fleisch. Ein neues Quantenmechanik-Lehrbuch in der Schwebe zwischen Mathematik und Physik
Es gehört schon ein wenig Mut dazu, der großen Zahl an Quantenmechanikbüchern noch ein weiteres hinzufügen zu wollen. Dennoch ist Volkard F. Müller das kleine Kunststück gelungen, ein weitgehend originäres Lehrbuch abzufassen, das eine gewisse Lücke in der einschlägigen Literaturphalanx tilgt. Sein Buch „Quantenmechanik“ bewegt sich auf dem schmalen Grat zwischen der Vermittlung von theoretisch-physikalischen Konzepten und präzisierender Mathematik, worauf schon der Appendix über lineare Operatoren im Hilbert-Raum hinweist. Der Grundansatz des Werkes ist, die nichtrelativistische Quantenmechanik aus ihrer physikalischen Begriffsbildung heraus zu entwickeln — um aber anschließend die grundlegenden Postulate mathematisch präzise zu formulieren. Die physikalische Begriffsbildung vollzieht sich in den ersten sieben Kapiteln. Hier handelt Müller in knapper Form einen Großteil des kanonischen Lehrstoffs ab. Besonders gelungen sind dabei die Abschnitte über die dynamische Symmetrie des H-Atoms und über Streuprozesse. Im Anschluss wird aufbauend auf der Spektraltheorie selbstadjungierter Operatoren die allgemeine Formulierung der Quantenmechanik vorgenommen. Das abschließende Kapitel über identische Teilchen ist dabei regelrecht rigoros ausgearbeitet. Die spezielle Wahl der Darstellung birgt unweigerlich Nachteile: Ein „Erklären von Physik“ erfolgt kaum, was das Fehlen von veranschaulichenden Grafiken bereits signalisiert. Analog wird die nötige Mathematik zwar „beschrieben“, aber nicht wirklich „vermittelt“. Weder einem mathematisch interessierten Physiker noch einem physikalisch interessierten Mathematiker wird das Buch daher ausreichend Material zur Verfügung stellen, um die jeweilige Wissenslücke schließen zu können. Auch für Anfänger im theoretischen Studium ist „Quantenmechanik“ wenig empfehlenswert. Das liegt vor allem daran, dass Müller eine Sprache gewählt hat, die sich mit dem Großteil der bestehenden Literatur nicht deckt. In diesem Zusammenhang muss auch das zu kleine und zu einseitige Literaturverzeichnis bemängelt werden. So bleibt das Buch am Ende nur für einen kleinen Leserkreis zu empfehlen. Wer mit genügend Vorkenntnissen in Mathematik und Physik ausgerüstet auf der Suche nach einem Lehrbuch ist, das beide Bereiche abdeckt, der wird auch fündig werden.
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