Selbstbezogen über Selbstbezogene
Der erfolgreiche Neurologe und Sachbuchautor Oliver Sacks ist voll der Begeisterung über Beate Hermelins Buch über so genannte rätselhafte Begabungen: "Das Buch ist großartig erzählt und zeigt Beate Hermelins großes Engagement und ihre Leidenschaft für dieses Thema. Beate Hermelin steht für gründliche und wegweisende Forschung, die aber auch immer das Menschliche berücksichtigt. Ihr Buch ist – einfach gesagt – wunderbar geschrieben und wird, da bin ich sicher, eine breite Spanne von Lesern ansprechen und faszinieren." Diese Lobpreisung lässt vieles erwarten und zeigt insbesondere auch auf, wie angesehen und beliebt Beate Hermelin, die am Institut für Psychiatrie der Universität London tätig ist, bei ihren Fachkollegen ist. Wie werden diese Erwartungen nun erfüllt? Die ersten drei Kapitel geben einen allgemeinen Überblick sowie Definitionen und Erläuterungen der Begriffe Talent, Intelligenz, Autismus, Asperger- und Savant-Syndrom. Bis zum abschliessenden Kapitel, das die Frage stellt, warum die meisten Savants Autisten sind, folgen darauf neun Kapitel mit Schilderungen der Leistungen von Savants mit ihren speziellen Inselbegabungen in den verschiedensten Bereichen: Poetik, Fremdsprachen, Kalenderberechnungen, Gedächtnis für Kalenderdaten, Zahlen, Zeichnen, Abbildungsstrategien, Kunst sowie musikalisches Gedächtnis und musikalische Improvisation. Aber in diesem Hauptteil bleibt es eben auch bei der reinen Schilderung. Bis auf eine kurze Skizze der Theorie der so genannten schwachen zentralen Kohärenz, wonach bei Autisten die Aufmerksamkeit immer auf Teilinformationen und Einzelheiten ausgerichtet ist und sie sich deswegen im realen Leben kaum allein zurechtfinden können, werden keine Erklärungsansätze welcher Art auch immer für Autismus im allgemeinen und dem Auftauchen von Inselbegabungen im besonderen geboten. Auf die zehn bis zwanzig Prozent der Savants, die nicht Autisten sind, wird gar nicht eingegangen – das ist zwar auch nicht die Zielsetung des Buches, doch sicherlich wäre es zum Verständnis autistischer Savants hilfreich. Selbst die von Beate Hermelin und ihren Kollegen durchgeführten Untersuchungen der Fähigkeiten der Savants und von Kontrollgruppen werden nur in den Kalender-Kapiteln detailliert durchgegangen. Allzu häufig bleibt die Autorin flach, und negativ fallen auch Wiederholungen diverser Aussagen auf. Ebenfalls schade ist, dass Beate Hermelin mit den Namen anderer Kollegen nur so um sich wirft, im Text allerdings immer nur auf ihre eigenen Arbeiten fixiert bleibt und so nicht im geringsten eine Entdeckungsreise durch die Savant-Forschung zu bieten vermag. Die sehr trockene Sprache, die durch die Übersetzung sicherlich nicht lebendiger wurde, verdirbt den Lesespaß zusätzlich. Alles in allem enttäuscht das Buch die hochgesteckten Erwartungen und kann nur denjenigen empfohlen werden, die keine aktuelle Literatur zum Thema auslassen wollen. Einzig im Schlusskapitel kommt ein wenig der hohen fachlichen Kompetenz und Spritzigkeit, die die Autorin zweifellos ihr eigen nennen darf, tatsächlich in ihrem Text zum Vorschein. Auch die umfangreiche Bibliographie und das Register vermögen noch Pluspunkte zu bringen.
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