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Der Papst als Bombenleger?

Seien Sie bloß vorsichtig, wenn Sie sich mit einem Priester unterhalten! Es könnte sich nämlich auch um einen "Schläfer" handeln, einen heimlichen Terroristen. Denn so unschuldig er vielleicht aussieht, immerhin tritt er für eine bestimmte Glaubensrichtung ein. Und folglich geht von ihm Gefahr aus.

Den meisten Zeitgenossen dürften solche Schlussfolgerungen fremd sein – doch sie haben das neue Buch von Detlef Linke wahrscheinlich auch noch nicht gelesen. Zugegeben, der Bonner Hirnforscher warnt darin nicht ernsthaft vor hiesigen Seelenhirten. Allerdings widmet er sich dem Phänomen Religion in der Tat als einer möglichen Bedrohung für unsere Gesellschaft.

Als Neurochirurg spürt Linke den Ursachen für übertriebenen Glaubenseifer zunächst einmal im Gehirn nach. So vermutet er, dass in den Denkorganen der Attentäter des 11. September 2001 handfeste neurologische Defekte vorlagen. Eindeutige Belege kann er hierzu freilich nicht liefern – doch der Blick auf andere Leiden gestatte diesen Verdacht: Ähnlich wie das Gehirn bei bestimmten Bewegungsstörungen der Finger die einzelnen Glieder nicht mehr unterscheidet und folglich mehrere von ihnen zusammen bewegt, verhalte es sich mit den Motiven von Fanatikern. Diese liefen Amok, weil die Prüfinstanzen im Kopf die Beweggründe nicht mehr hinterfragten – als seien die verantwortlichen Nerven durchgeschmort!

Dabei verfolgt Religion für Linke zunächst einmal den guten Zweck, nämlich Menschen ihr Leben meistern zu lassen. Sie soll Ängste nehmen und Geborgenheit vermitteln – Gottesglaube als geistiges Valium also. Doch Vorsicht: Ist die Dosis zu stark, überwiegen wie bei anderen Drogen die Schäden!

Wer glaubt, Linke würde seinen Lesern nun raten, zu Risiken und Nebenwirkungen den Neurobiologen ihres Vertrauens zu befragen, der täuscht sich. Die Hirnforschung sei zu abschließenden Antworten nicht in der Lage – noch nicht jedenfalls. So hält Linke auch nichts von der "lokalisatorischen" Ausrichtung mancher seiner Kollegen. Vor einiger Zeit hatten amerikanische Hirnforscher mit der Behauptung für Furore gesorgt, sie hätten "Gott" im Gehirn aufgespürt. Die entsprechenden Studien wiesen darauf hin, dass eine definierte Region in unseren Hinterköpfen religiöse Empfindungen erzeugt. Linke zufolge seien die Ergebnisse jedoch nicht eindeutig, die Schlussfolgerungen nicht zwingend und das darauf errichtete Lehrgebäude einer "Neurotheologie" überhastet zusammengezimmert.

Folglich muss sich auch Linke dem Thema Religion noch auf anderen Pfaden nähern. Munter durchstreift er so sämtliche Felder des menschlichen Geistes. Je weiter er voranprescht, desto schillerndere Ideen-Feuerwerke zündet er. Weder die Helden der griechischen Mythologie noch die guten alten deutschen Geistesgrößen Kant und Hegel dürfen da fehlen – sie alle kreuzen Linkes Argumentationsketten und inspirieren zu neuen überraschenden Schlussfolgerungen.

Zweifellos gehört kreatives Spekulieren zu Linkes Stärken; dafür sind seine Assoziationen mitunter nicht mehr logisch nachzuvollziehen. In welche Richtung das nächste Argument führt, ist nie vorhersehbar. Damit bleibt der Bonner Querdenker sich und seinen bekannten Qualitäten treu: Bestens aufgehoben fühlen sich bei ihm jene Leser, die Anregungen suchen und Provokationen nicht scheuen. Auch wer sich gern an kühnen Thesen reibt, wird hier sicher nicht enttäuscht.
  • Quellen
Gehirn&Geist 4/2003

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