Der Gott der Therapie
Mediziner und Psychologen betrachteten religiöse Vorstellungen im klinischen Kontext lange Zeit skeptisch: Sie seien vornehmlich als Symptom, wenn nicht gar als Ursache verschiedener psychischer Störungen anzusehen. Insbesondere die Psychoanalyse ist tief von dieser Glaubensskepsis geprägt. Inwieweit Religiosität die Gesundheit fördern kann, wurde dagegen selten untersucht. Das ist umso erstaunlicher, als sich die Mehrzahl der Menschen – trotz Säkularisierung und Kirchenverdruss – selbst als religiös und im Glauben verhaftet einschätzen.
Die heute florierende Erforschung der Resilienz (Krisenfestigkeit) hat auf diesem Gebiet zu einem Umdenken geführt. Auch der Psychiater und Neurologe James Griffith von der George Washington University (USA) lenkt den Blick seiner Leser nicht nur auf mögliche Gefahren, die mit religiösen Vorstellungen einhergehen. Er beleuchtet den Glauben vielmehr als Quell unserer Gesundheit. Anders als der Titel vermuten lässt, beschränkt sich der Autor dabei auf psychische Erkrankungen. Fallbeispiele und praktische Hinweise machen das Buch besonders für Therapeuten, Psychiater und klinische Psychologen lesenswert.
Inwiefern sich Griffiths Empfehlungen auf den deutschsprachigen Raum übertragen lassen, ist freilich unklar. Das heterogene Spektrum der vielfach fundamental-christlich geprägten Glaubensgemeinschaften in den USA lässt sich mit der Situation hierzulande kaum vergleichen. Während Amerikaner vor der Qual der Wahl stehen, aus dem reichen Fundus religiöser Strömungen das jeweils zu ihnen passende "Angebot" auszuwählen oder zusammenzustellen, ist Glaube in Europa hauptsächlich eine Frage von Tradition und Erziehung. Zudem verliert Griffith in zahlreichen anekdotischen Darstellungen bisweilen den roten Faden seiner Argumentation, was das Buch stellenweise fahrig wirken lässt.
Dennoch zeichnet es ein facettenreiches Bild von der Heilkraft des Glaubens, die bislang unterbelichtet blieb. Unterm Strich bleibt die Erkenntnis: Religiöse Überzeugungen und Rituale können die Gesundheit stärken und als therapeutische Interventionen sinnvoll in die Behandlung seeleischer Leiden einbezogen werden.
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