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Hilfreiche Emotionen

"Die Vernunft ist des Herzens größte Feindin", resümierte der venezianische Schriftsteller und Abenteurer Giacomo Casanova (1725-1798). Dieser These vom Zwist zwischen Verstand und Gefühl tritt nun Claus Peter Simon, Redakteur bei "Geo Wissen", entgegen. Mit seinem Buch will er uns dabei helfen, in einer logikdominierten Vernunftwelt von unseren Gefühlen zu profitieren. Simon kommt zu dem Schluss: Ob überschäumende Wut oder lähmende Furcht – wenn wir auf unsere Emotionen hören, können wir mehr über unsere Welt erfahren. So warnt unsere Angst uns vor Gefahren, noch bevor wir sie realisieren. Aber Simon rät auch zur Vorsicht, können Emotionen doch trügen. Machen wir uns unserer Gefühle bewusst, so können wir souverän mit ihnen umgehen. Viel zu lang habe die Wissenschaft einen Bogen um unser Empfinden gemacht, das man somit als "letzten dunklen Kontinent" bezeichnen könne.

Das Sachbuch ist kurzweilig geschrieben und von Anfang an fesselnd. Simon geht Fragen zu unserer inneren Stimme nach: Empfinden alle Menschen ähnlich? Können wir als moderne Zeitgenossen auf Emotionen verzichten? Der Autor erläutert den Ursprung unserer Gefühlswelt vor dem Hintergrund der biologischen Evolution und meint, dass intuitive Entscheidungen oft die besseren seien. Bei einer Studie zum Autokauf etwa trafen Teilnehmer, die abgelenkt waren und daher eher unbewusst wählten, die besseren Entscheidungen als Probanden, die ausführlich über die Vor- und Nachteile der angebotenen Wagen nachdenken konnten. Der Autor argumentiert, dass gerade in komplexen Situationen mit einem hohen Grad an Ungewissheit sich Bauchentscheidungen oft als überlegen erweisen.

Im zweiten Teil seines Buchs beleuchtet Simon zehn ausgewählte Emotionen und widmet jeder von ihnen ein Kapitel. Er behandelt unter anderem Angst, Einsamkeit, Liebe, Glück, Trauer und Zorn. So stellt er etwa eine Frau vor, die am Urbach-Wiethe-Syndrom leidet, einer genetisch bedingten Erkrankung, und sich deshalb vor nichts fürchtet. Forscher versuchten ihr mit Horrorfilmen, Schlangen oder Spinnen einen Schrecken einzujagen – ohne Erfolg. Anhand dieses Beispiels und weiterer Studien erfährt man sehr plastisch, wo im Gehirn die Angst "sitzt" und wie sie sich im Körper manifestiert. Der Autor zeigt, wie sehr wir die Furcht benötigen, um uns im Alltag zurecht zu finden, und warum Psychosen entstehen.

Simon plaudert sprachlich versiert und sehr unterhaltsam aus dem Nähkästchen der Forschung und gibt dabei zahlreiche erfrischende Anekdoten zum Besten. Sein Versprechen, den Lesern dazulegen, wie sie ihre Emotionen als Wegweiser nutzen können, kann er jedoch nicht immer einhalten. Mitunter wird er schwammig, statt konkrete Lebenshilfe zu bieten, und münzt Experteneinschätzungen zu Wohlfühl-Tipps um. Unterm Strich jedoch ist sein Buch empfehlenswert, da es auf viele interessante Experimente und lehrreiche Einzelfälle Bezug nimmt.

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