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Der Selbstdenker

Der Marburger Neutestamentler Rudolf Bultmann (1884 – 1976) betrachtete sämtliche mythischen Vorstellungen wie Geister, Dämonen und Wunder in der Bibel als "erledigt". Die einen begrüßten sein Entmythologisierungsprogramm als notwendige Anpassung des Christentums an das naturwissenschaftliche Weltbild. Für die anderen galt die bloße Lektüre seiner Schriften als geradezu teuflische Erschütterung des Glaubens.

Anhand zahlreicher Quellen – darunter bislang unerschlossenes Archivmaterial – vermittelt der Theologe Konrad Hammann ein eindrückliches Bild vom Lebensweg des bedeutenden Gelehrten und zugleich ein lebendiges Panorama der politischen und gesellschaftlichen Konflikte seiner Zeit. Das Buch beschreibt die Erschütterung der Geschichtsschreibung nach dem Ersten Weltkrieg und gibt Einblicke in den akademischen Betrieb, der schon damals einem Haifischbecken ähnelte.

Die Begegnung mit berühmten Philosophen wie Hans Jonas, Martin Heidegger und Karl Jaspers prägte Bultmanns Verständnis der Geschichtswissenschaft nicht als Betrachtung der Vergangenheit, sondern als Begegnung mit ihr. Der Widerstand des erfolgreichen Theologieprofessors gegen den nationalsozialistischen Rassenwahn und gegen den Opportunismus seiner Kollegen ließ ihn den Einmarsch amerikanischer Truppen in Marburg als Erlösung und Befreiung erleben.

Protest gegen jegliche Form von verordnetem Kollektivismus bestimmte Bultmanns Leben bis zuletzt: Nach dem Krieg kritisierte er die halbherzige Entnazifizierung der deutschen Universitäten. Während der Studentenunruhen der 1960er Jahre wehrte er sich aber auch gegen die politische Vereinnahmung seiner Person durch die Wortführer der Protestbewegung. Die gründliche, abwägend urteilende Darstellung des Lebens- und Denkwegs von Rudolf Bultmann und der präzise und flüssige Stil des Autors machen das Buch zu einem überaus informativen Lesevergnügen.

  • Quellen
Epoc, 5/2009

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