Mehr im Meer
Wir wissen mehr über den Mond als über unsere Ozeane, obwohl diese rund 70 Prozent der Erdoberfläche bedecken. Der globale "Marinezensus" soll dies nun ändern - und das Buch "Schatzkammer Ozean" fasst die ersten Ergebnisse brillant in Wort und Bild zusammen.
Immer wenn der Biologe Richard Pyle im Meer dort hinab taucht, wo das letzte Licht der Oberfläche in der ewigen Dunkelheit der Tiefsee versickert, gelangt er in eine Welt voller unbekannter Wunder: Pro Stunde entdeckt er dort im Schnitt sieben Fischarten, die der Wissenschaft zuvor völlig unbekannt waren. So richtig verwunderlich ist dieses Füllhorn an Entdeckungen aber doch nicht, wenn man bedenkt, dass wir mehr über die Oberfläche des Mondes wissen, als über die Ozeane der Erde.
Um dies zu ändern, initiierten Meeresbiologen, Geologen, Hydrologen, Ozeanologen, Geochemiker und viele weitere Wissenschaftler aus anderen Sparten mit einem globalen Mammutprogramm: dem World Ocean Census, auf deutsch Marinezensus genannt. Ihr Ziel: möglichst viel über der Weltmeere herauszufinden, wie viele Arten sie beheimaten, wie sich ihre Bestände entwickeln, wie sie ihre Umwelt prägen und von dieser geprägt werden. Herausgekommen sind Unmengen von Daten – und ein eindrucksvolles Buch namens "Schatzkammer Ozean. Volkszählung in den Weltmeeren" von Darlene Trew Crist, Gail Scowcroft und James Harding.
In drei großen Kapiteln behandelt es die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Ozeane und ihrer Arten, die alle durchweg hervorragend bebildert sind und eine Auswahl der bizarrsten, schönsten, exotischsten und beeindruckendsten Geschöpfe des Meeres zeigen. Dazu haben die Autoren noch zahlreiche Karten und Aufnahmen der Forscher bei ihrer täglichen Arbeit gepackt, damit der Leser auch einen Eindruck vom Alltag der Wissenschaft bekommt, der bisweilen jenem von Sisyphos gleicht.
Brian MacKenzie aus Dänemark beispielsweise leistete einen Beitrag, der sehr viel detektivisches Gespür verlangte: Er wühlte sich durch Tausende von alten Fangberichten, Regierungsstatistiken, Sichtungsmeldungen, Zeitungsausschnitte und frühe wissenschaftliche Publikationen, um einen genaueren Überblick über den Tunfischfang im Nordostatlantik zu bekommen. Dieser hatte es vor dem Zweiten Weltkrieg durchaus in sich, denn dänische Fischer landeten aus den Gewässern rund um ihr Heimatland mächtige Kaliber an, die bis zu zwei Meter lang waren und 200 Kilogramm wogen. Heute sind diese lukrativen Fischzüge Geschichte: Der Tun gilt in in Europas Meeren als heillos überfischt, und nur noch kleine Exemplare werden an Bord gezogen – eine Geschichte von Aufstieg, Boom und Zusammenbruch, die sich nach den Erkenntnissen der Forscher an vielen Orten der Welt mit zahlreichen Arten abgespielt hat: Stör, Kabeljau, Heilbutt, Haie.
Der technische Fortschritt ermöglichte diesen Raubbau, genauso wie er die Erforschung des Meeres erleichtert. Mit Hilfe von ferngesteuerten Unterseebooten, in Strömungen treibenden Messsonden oder an Tieren befestigten Sendern brachten die Wissenschaftler (im wahrsten Sinne) etwas Licht in die Tiefsee und ihre Lebensgemeinschaften oder enthüllten Rekordwanderungen von Haien und Seevögeln. Deutsche Wissenschaftler sind an dieser Stelle auch führend vertretend, ermöglicht das Schiff "Polarstern" vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven doch Spitzenforschung auf hoher See oder in polaren Breiten.
Leider kann bei diesen Arbeiten die Übernutzung der Meere und andere Umweltprobleme nicht außen vor bleiben: An vielen Stellen konnten die Wissenschaftler nur noch einen verarmten Abklatsch der ursprünglichen Vielfalt entdecken: ausgebleichte Riffe, schmelzendes Polareis, zerstörte Seegraswiesen, Quallenplagen statt Fischschwärme. Auf der anderen Seiten bemerkten sie auf ihren Reisen aber auch, wie widerständig das Ökosystem ist, das durchaus zu altem Glanz zurückkommen kann, wenn der Mensch es zulässt und sich zurücknimmt.
Wer sich für das Meer interessiert oder Freude hat an gelungenen Fotografien kommt an diesem Buch kaum vorbei. Empfohlen sei es aber auch allen anderen, denn es ist ein gelungener Einblick in die Wissenschaft und in ein Projekt, das jetzt schon Stoff für zahlreiche neue Forschergenerationen gesammelt hat – und das wohl noch lange nicht beendet ist, obwohl es "nur" bis zum Jahr 2010 laufen sollte. Vor Forscherkauderwelsch muss sich dabei auch der Laie nicht fürchten: Die Autoren haben ein gut verständliches Sachbuch abgeliefert, das von einem ausführlichen Glossar für die unvermeidlichen fachbegriffe abgerundet wird. Alles in allem ist das Buch ein sehr guter Hingucker – und Augenöffner: für das faszinierende Leben im Ozean.
Um dies zu ändern, initiierten Meeresbiologen, Geologen, Hydrologen, Ozeanologen, Geochemiker und viele weitere Wissenschaftler aus anderen Sparten mit einem globalen Mammutprogramm: dem World Ocean Census, auf deutsch Marinezensus genannt. Ihr Ziel: möglichst viel über der Weltmeere herauszufinden, wie viele Arten sie beheimaten, wie sich ihre Bestände entwickeln, wie sie ihre Umwelt prägen und von dieser geprägt werden. Herausgekommen sind Unmengen von Daten – und ein eindrucksvolles Buch namens "Schatzkammer Ozean. Volkszählung in den Weltmeeren" von Darlene Trew Crist, Gail Scowcroft und James Harding.
In drei großen Kapiteln behandelt es die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Ozeane und ihrer Arten, die alle durchweg hervorragend bebildert sind und eine Auswahl der bizarrsten, schönsten, exotischsten und beeindruckendsten Geschöpfe des Meeres zeigen. Dazu haben die Autoren noch zahlreiche Karten und Aufnahmen der Forscher bei ihrer täglichen Arbeit gepackt, damit der Leser auch einen Eindruck vom Alltag der Wissenschaft bekommt, der bisweilen jenem von Sisyphos gleicht.
Brian MacKenzie aus Dänemark beispielsweise leistete einen Beitrag, der sehr viel detektivisches Gespür verlangte: Er wühlte sich durch Tausende von alten Fangberichten, Regierungsstatistiken, Sichtungsmeldungen, Zeitungsausschnitte und frühe wissenschaftliche Publikationen, um einen genaueren Überblick über den Tunfischfang im Nordostatlantik zu bekommen. Dieser hatte es vor dem Zweiten Weltkrieg durchaus in sich, denn dänische Fischer landeten aus den Gewässern rund um ihr Heimatland mächtige Kaliber an, die bis zu zwei Meter lang waren und 200 Kilogramm wogen. Heute sind diese lukrativen Fischzüge Geschichte: Der Tun gilt in in Europas Meeren als heillos überfischt, und nur noch kleine Exemplare werden an Bord gezogen – eine Geschichte von Aufstieg, Boom und Zusammenbruch, die sich nach den Erkenntnissen der Forscher an vielen Orten der Welt mit zahlreichen Arten abgespielt hat: Stör, Kabeljau, Heilbutt, Haie.
Der technische Fortschritt ermöglichte diesen Raubbau, genauso wie er die Erforschung des Meeres erleichtert. Mit Hilfe von ferngesteuerten Unterseebooten, in Strömungen treibenden Messsonden oder an Tieren befestigten Sendern brachten die Wissenschaftler (im wahrsten Sinne) etwas Licht in die Tiefsee und ihre Lebensgemeinschaften oder enthüllten Rekordwanderungen von Haien und Seevögeln. Deutsche Wissenschaftler sind an dieser Stelle auch führend vertretend, ermöglicht das Schiff "Polarstern" vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven doch Spitzenforschung auf hoher See oder in polaren Breiten.
Leider kann bei diesen Arbeiten die Übernutzung der Meere und andere Umweltprobleme nicht außen vor bleiben: An vielen Stellen konnten die Wissenschaftler nur noch einen verarmten Abklatsch der ursprünglichen Vielfalt entdecken: ausgebleichte Riffe, schmelzendes Polareis, zerstörte Seegraswiesen, Quallenplagen statt Fischschwärme. Auf der anderen Seiten bemerkten sie auf ihren Reisen aber auch, wie widerständig das Ökosystem ist, das durchaus zu altem Glanz zurückkommen kann, wenn der Mensch es zulässt und sich zurücknimmt.
Wer sich für das Meer interessiert oder Freude hat an gelungenen Fotografien kommt an diesem Buch kaum vorbei. Empfohlen sei es aber auch allen anderen, denn es ist ein gelungener Einblick in die Wissenschaft und in ein Projekt, das jetzt schon Stoff für zahlreiche neue Forschergenerationen gesammelt hat – und das wohl noch lange nicht beendet ist, obwohl es "nur" bis zum Jahr 2010 laufen sollte. Vor Forscherkauderwelsch muss sich dabei auch der Laie nicht fürchten: Die Autoren haben ein gut verständliches Sachbuch abgeliefert, das von einem ausführlichen Glossar für die unvermeidlichen fachbegriffe abgerundet wird. Alles in allem ist das Buch ein sehr guter Hingucker – und Augenöffner: für das faszinierende Leben im Ozean.
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