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Forscher, bleib bei Deinen Leisten!

Wissenschaftler wissen alles, sagen nicht viel und schreiben ungern mehr als sie zu sagen haben. Abenteurer erleben viel, erzählen viel mehr und schreiben im besten Fall Geschichte. Und Feldforscher? Feldforscher forschen viel und schreiben manchmal mehr als ihnen gut tut. "Schimpansenland" von Volker Sommer ist so ein Beispiel: "In Afrika sind noch Abenteuer zu erleben – davon erzählt einer der führenden Primatenforscher unserer Zeit", so die Einführung des Klappentextes zum Buch. Vielleicht ist es vermessen, hinter einer solchen Beschreibung kein abenteuerliches Buch zu vermuten. Aber, mal unbefangen gefragt: Musste es denn wirklich so abenteuerlich werden?

Denn an Abenteuerlichkeiten hätte schon der Inhalt weitaus genug zu bieten: Volker Sommer, renommierter Anthropologe, unterwegs in Nigeria, um im 6600 Quadratkilometer großen Gashaka-Gumpti-Nationalpark eine noch unerforschte Schimpansenunterart näher zu studieren. Das klingt nach einem Thema, das so aufregend ist, dass es schwer sein müsste, ein langweiliges Buch daraus zu stricken.

Und in der Tat kann das Buch mit allerlei Aufregendem aufwarten. Allein das Studienobjekt beeindruckend: Pan troglodytes vellerosus, der Nigeria-Schimpanse, anders als seine drei Brüder bislang kaum einem Menschen von Angesicht zu Angesicht begegnet. Wo Pan trogodytes schweinfurthii (Ostafrikanischer Schimpanse), Pan troglodytes troglodytes (Zentralafrikanischer Schimpanse) sowie Pan troglodytes verus (Westafrikanischer Schimpanse) forschungsliterarische Regalbretter ächzen lassen, lässt Pan der Vierte allenfalls Mythen um sich ranken.

Mit Spannendem macht auch das Forschungsprojekt von sich reden: Von der Methodologie bis zur Psychologie des Feldforschers, vom Aufbau des Forschungscamps bis zum Ausbau des akademischen Forschungsteams, von Primaten-Habituation bis zu Primatologen-Kommunikation im Urwald, nicht zu vergessen der nigerianische Kulturschock, von dem selbst der vorbehaltlos beobachtende Europäer nicht gefeit ist. Und in seiner Einsamkeit nach einem Jahr zivilisatorischer Abstinenz greift er dann sogar zu Harry Potter und Konsorten: Faszinierend, was Volker Sommer da über sein Forschungsprojekt zu erzählen hat.

Schwer ist es auch, sich der Faszination zu entziehen, was unsere nächsten Verwandten im Urwald von Nigeria treiben: Ihr Sozialleben, ihre Kultur, Natur und Umwelt lassen den sich gemütlich im Ohrensessel zurücklehnenden gemeinen Mitteleuropäer in freundlicher Zuneigung die Bewohner des nigerianischen Urwalds in sein heimisches mitteleuropäisches Wohnzimmer hineinspazieren – gerne auch in Begleitung von Buschbienen, Treiberameisen, Antilopen, Büffeln, Erdferkeln, Kobras, Pavianen, Zibetkatzen, Löwen, Warzenschweinen, Stachelschweinen, Nilpferden, Krokodilen, Fledermäusen, Vipern und – allerdings nicht ganz so gerne – diversen Parasiten, die das Leben eines Forschers im Felde reichlich inspirieren.

Zumindest, so lange es noch geht. Denn wenngleich im Detail uneins, sind sich alle Studien über Schimpansen im Großen und Ganzen bislang einig: Die Tage von "Biri mai ganga" sind gezählt. In 18 oder in 50 Jahren wird der "Affe mit der Trommel" nur noch Geschichte sein – da macht auch der Nigerianische Schimpanse keine Ausnahme. Die Mama im Kochtopf, das Kind im Käfig: Bei Wilderern ist Pan beliebte Beute. Angesichts der langsamen Vermehrungszyklen die Mindestmenge an Schimpansen pro Quadratkilometer zu halten, die zur Erhaltung der Gattung nötig wäre, ist bei solcher Beliebtheit schwierig – zumal wenn der Lebensraum täglich schrumpft. Wenig verwunderlich ist es deshalb, dass der Weg vom Feldforscher zum Umweltschützer kurz ist und Volker Sommer in guter Tradition von Jane Goodall, Diane Fossey und der Orang-Utan-Forscherin Biruté Galdikas mit Herzblut für den Erhalt seines akademischen Forschungsobjektes kämpft, weil er nicht handlungs- und hoffnungslos dem Verschwinden der Schimpansen zusehen möchte.

"Wer verantwortlich Naturwissenschaft betreiben will, [wird] automatisch zum Naturschützer", sagt Volker Sommer – und fängt eigenhändig an, sich für die Einrichtung des Gashaka-Gumpti-Nationalparks als Naturschutzgebiet einzusetzen, um dem bedrohten Nigerianischen Schimpansen wenigstens ein letztes Refugium gegenüber dem wachsenden Humandruck zu bieten. Das ist ehrenwert. Und es ist auch ehrenwert, die Botschaft des umweltkämpfenden Panthropologen mit Vehemenz in die weite Welt hinauszutragen, um für ideelle, vielleicht auch finanzielle Unterstützung seiner Arbeit im Schimpansenland zu werben.

Damit könnte die Beschreibung des Abenteuers nigerianischer Urwald mit der nüchternen Hoffnung auf bessere Zeiten enden – würde Volker Sommer seiner Erzählung über einen schützenswerten Teil unserer Welt, seinem Einsatz für ein neues kulturelles und biologisches Selbstverständnis des Menschen und für die Rettung des Schimpansenlandes nicht von der ersten bis zur letzten Seite ständig selbst auf abenteuerliche Weise Steine in den Weg legen. Es mag in der Natur der Sache liegen, wenn Forschung in einem mehr als entlegenen und hoffentlich noch lange ungezähmten Gebiet strukturell ungezügelte Texte hervorbringen. Das macht das Lesen nicht leicht, birgt aber wenigstens noch einen gewissen Charme, dem sich ein Text mit sachlich wissenschaftlichem oder wissenschaftsjournalistischem Anspruch mitunter entzieht.

Deutlich störender ist da schon die sprachliche Gestaltung: Da sitzen Forscher "im Feuchten, ohne einen nassen Hintern zu bekommen", da wird "zum Dinner Maispampe gereicht", sind Kollegen "happy", ruft nicht zuletzt der Forscher verwundert "Gleich drei Schimpansen, welch ein Glück!" Das Tagebuch eines Teenagers könnte "die Millionen Jahre alte Story" nicht besser beschreiben. Und wirklich wunderlich wird es da, wo Volker Sommer den geerdeten Urwaldboden verlässt und ins Philosophische abgleitet: Was pseudowissenschaftlich formulierte antireligiöse Seitenhiebe in einer umweltpolitischen Kampfschrift zu suchen haben, bleibt auch bei einer explizit als "persönliche Saga" angelegten Erzählung mehr als rätselhaft: "In einem Land, wo die breite Masse keine Gelegenheit hat, die Götzen des Materialismus anzubeten, sind Jesus und Mohammed konkurrenzlose Hoffnungsträger", "Je erflehter der Segen von Herrn Jesus und Allah, desto wohler fühlen sich alle", "Religion an sich tut dem Naturschutz somit selten gut wenn überhaupt, muss sie mit Bildung und Aufklärung gepaart sein." Was da am Rand von entwicklungspolitischen Einwürfen bei kurzen Ausflügen in das neben dem Forschungscamp angesiedelten Dorfleben regelmäßig aufscheint, gibt weniger Einblick in die humane kulturelle Umwelt des Forschungsprojektes als in die evolutionär humanistische Gesinnung des Forschers: Da ist dem wissenschaftlichen Beirat der Giordano-Bruno-Stiftung ein paar Mal zu oft unkommentiert der Stift ausgerutscht.

Das ist nicht nur abenteuerlich, sondern schade. Denn angesichts der sprachlichen und weltanschaulichen Abwege, die Volker Sommer da beschreitet, wird der Blick des Lesers allzu direkt von der nigerianischen Naturkultur zur mitteleuropäischen Kulturnatur gelenkt und lässt den Leser weiterhin im Ohrensessel verweilend das Buch schlussendlich gelangweilt zur Seite legen.

In diesem Sinne: Herr Sommer, bitte forschen Sie weiter! Kämpfen Sie weiter um den Erhalt Ihrer Forschungssubjekte! Bitte schreiben Sie weiter Dissertationen, Habilitationen, Forschungs- und Drittmittelanträge! Aber überlassen Sie bitte das Schreiben von Abenteuerbüchern Romanautoren und das journalistische Schreiben Wissenschaftsjournalisten. Es wäre schade, wenn Ihre Botschaft auf den Irrwegen der Tastatur verloren ginge.

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