Das tut weh! Isabelle Azoulays Schmerz-Behandlung ist reine Ansichtssache
Isabelle Azoulay führt ihre Leser auf eine lange und manchmal auch etwas schwer zu bewältigende Reise: Die promovierte Soziologin versucht die Fragen, wie Schmerz empfunden wird und wie wir mit Schmerz umgehen, aus historischen, philosophischen und ethnologischen Blickwinkeln zu beantworten. Dabei durchzieht leider ein grundlegendes Vorurteil das ganze Buch: Die Deutschen könnten nicht mit Schmerz umgehen, sie unterdrückten und verneinten ihn ständig, und sie lachten immer solche Menschen aus, die über Schmerzen klagen. Abenteuerliche Parallelen zum Antisemitismus werden gezogen, wie auch zum Umgang mit Anästhesie während der Geburt — worüber die Autorin übrigens ein eigenes Buch, "Die Gewalt des Gebärens. Streitschrift wider den Mythos der glücklichen Geburt", verfasst hat! So interessant, gut gewählt und ausführlichst zitiert die philosophischen Quellen Azoulays sind, so sehr vermisst der naturwissenschaftlich geschulte Leser medizinische und biologische Tatsachen. Viel zu oft werden Sachverhalte vom Hören-Sagen widergegeben. Wo aber bleibt das inzwischen doch immens große Wissen um die neurobiologischen Grundlagen der Schmerzverarbeitung, wo bleiben die Ergebnisse großer ethnologischer Untersuchungen? Warum gibt es Schmerz? Was ist seine biologische Funktion? Was ist der Unterschied zwischen akutem, chronischem und pathologischem Schmerz? An Isabelle Azoulays Buch werden sich die Geister scheiden. Entweder man findet den Zugang zu ihrer Art der Schmerz-„Behandlung“ ... oder eben nicht.
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