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Pflichtlektüre für Verschwörungs-theoretiker

Es gibt nicht viele Begriffe aus der theoretischen Physik, die zum sprachlichen Allgemeingut geworden sind. Das "Schwarze Loch" gehört dazu. Vielleicht ist es die düstere Faszination, die von ihm ausgeht. Was die Google-Treffer angeht, so schlagen jedenfalls die "Schwarzen Löcher" den ebenfalls wohlbekannten "Urknall" deutlich. Der Urknall ist lange her, die Löcher aber allgegenwärtig – so jedenfalls denken die meisten Astronomen. So groß ist das öffentliche Interesse an diesen mysteriösen Objekten, dass es ein Schwarzes Loch 2008 sogar auf die Titelseite der Frankfurter Allgemeinen Zeitung brachte. Allerdings hatte dies weniger mit den kosmischen Objekten im Weltall zu tun, als vielmehr mit einem unglaublichen Medienhype, den einige Verschwörungstheoretiker im Zusammenhang mit dem Start des Large Hadron Collider in Genf und den dort (möglicherweise) entstehenden (ungefährlichen) Schwarzen Minilöchern zu tun hatte. Das Bedürfnis nach belastbarer, fachlich korrekter und dennoch verständlicher Information über Schwarze Löcher ist, das zeigen solche Medienberichte, jedenfalls sehr hoch.

Genau hier setzt das Buch von Andreas Müller an. Auf 193 Seiten fasst der Astrophysiker und Wissenschaftsautor unser gesammeltes Wissen aus fast hundert Jahren Forschung zusammen. Müller ist ohne Zweifel prädestiniert für diese Aufgabe: Im Jahr 2004 promovierte er an der Universität Heidelberg zum Thema Schwarze Löcher und war von 2005 bis 2007 Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching, wo er sich ebenfalls mit der Röntgenstrahlung aus der Umgebung der Massemonster beschäftigte.

Seine Fähigkeit, die nicht immer leicht verdaulichen Zusammenhänge seines Fachgebiets anschaulich und verständlich darzustellen, stellt Müller auch in diesem Buch unter Beweis. Besonderes Gewicht legt der Autor auf die astronomischen Hinweise für die Existenz Schwarzer Löcher im Universum und auf die Frage, wie man Schwarze Löcher tatsächlich beobachten könnte. Hier bietet er dem Leser eine Fülle von Informationen, etwa darüber, was Schwarze Löcher mit Supernovae und Gammastrahlenausbrüchen zu tun haben, wie Materie eigentlich in ein Schwarzes Loch einfällt und wie dabei die energiereichen und nach außen gerichteten Jets entstehen, die wir in den Kernen aktiver Galaxien über fast das gesamte Universum beobachten. Und er kommt zu der verblüffenden Prognose, dass es in ungefähr fünf Jahren gelingen könnte, ein "Foto" der "Schwärze eines Schwarzen Lochs" zu erstellen!

Etwas schwieriger dürfte sich der Leser auf den Seiten tun, auf denen der Autor die physikalischen Eigenschaften eines Schwarzen Lochs beschreibt oder die Ideen, die Physiker zu einer möglichen Theorie der Quantengravitation haben. Hier gelingt es ihm nicht immer, sich aus der doch sehr abstrakten und in sich geschlossenen Sprache der theoretischen Physik zu lösen – falls das überhaupt möglich sein sollte. Vieles, was beispielsweise über mögliche Alternativen zu Schwarzen Löchern präsentiert wird, "Holosterne", "Gravasterne" und andere, ist reichlich spekulativ und zeigt damit auf das Deutlichste, dass Schwarze Löcher im Vergleich dazu keinesfalls spinnerte Ideen oder Sciencefiction sind: Wir brauchen sie, um unsere Beobachtungen innerhalb und außerhalb unserer Galaxie zu beschreiben! Zur Pflichtlektüre für Weltuntergangstheoretiker wird das Buch spätestens auf den letzten Seiten, wo Müller in wenigen Absätzen die "Theorien" der selbsternannten LHC-Kritiker von alles zermalmenden Schwarzen Löchern aus dem Teilchenbeschleuniger nüchtern und fachmännisch zerlegt. Schon allein für diese Abschnitte lohnt sich die Lektüre. Zwar wird er einen waschechten Verschwörungstheoretiker, dem es ohnehin mehr auf öffentliche Aufmerksamkeit als auf wissenschaftliche Fakten ankommt, nicht überzeugen. Wohl aber gibt er all jenen wertvolles und allgemein verständliches Wissen an die Hand, die sich mit diesen Fragen ernsthaft beschäftigen oder mit diesbezüglichen Fragen konfrontiert werden.

Das Buch stellt ein echtes kleines Kompendium unseres heutigen Wissens über Schwarze Löcher dar. Für Leser, die keine Berührungsängste mit der Sprache der Physik haben, ist es sicher uneingeschränkt zu empfehlen. Andere werden sich darauf einstellen müssen, dass manche Abschnitte ein wenig theorielastig und vielleicht auch etwas schwieriger verständlich sind – eine leichte Bettlektüre ist das Buch keinesfalls! Doch sind diese Kapitel nicht unbedingt für das Verständnis der übrigen erforderlich, so dass sie auch getrost übersprungen werden können. Lesern jedenfalls, die sich intensiver mit dem Thema Schwarze Löcher beschäftigen möchten, sollte das Buch in keinem Fall im Bücherregal fehlen.

Ein Manko dieses Buchs fällt allerdings schon beim Durchblättern auf: Die uneinheitlich gestalteten Grafiken sorgen für eine gewisse Unruhe beim Lesen, zudem verfügen einige über eine zu geringe Auflösung, was für das Internet noch akzeptabel sein mag, keinesfalls aber für ein gedrucktes Buch. Hier hätten sich Autor und Verlag ein wenig mehr Mühe geben können, wie es bei anderen Schriften der Spektrum-Reihe "Astrophysik aktuell" auch der Fall war. Es bleibt zu hoffen, dass dies in einer (dem Buch zu wünschenden) späteren Auflage verbessert wird, denn es ist ein wenig schade, wenn durch das Layout der Gesamteindruck eines ansonsten gelungenen Werks leidet.
  • Quellen
Sterne und Weltraum 8/2010

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