Siegermentalität: Der Kopf entscheidet
Was entscheidet über Sieg oder Niederlage? Manchmal sind es nur Millimeter, die den Ball gegen den Pfosten prallen lassen, statt dass er die Torlinie überschreitet. Und manchmal ist es der unbedingte Wille zu gewinnen. Das vielbeschworene und bisweilen verfluchte »Bayern-Gen«, dieses Anrennen bis zur letzten Sekunde und zum Sieg hängt nicht nur mit der Klasse der Spieler des FC Bayern und ihrer Kondititon zusammen, sondern ist viel auch eine Kopfsache, eine Frage der Mentalität. »Mind Match Fußball – Wie mentale Faktoren über die letzten Prozente entscheiden« der Sportwissenschaftler Daniel Memmert und Bernd Strauß sowie des Journalisten Daniel Theweleit geht dieser »Kopfsache« nach. Es ist eine grundlegend überarbeitete Neuauflage des 2013 erschienen Buchs »Der Fußball. Die Wahrheit« in zehn Kapiteln.
Das Buch bietet den Lesenden ein sehr umfangreiches, auf Studien basierendes Wissen. Das erste Kapitel befasst sich insbesondere mit dem historisch gewachsenem Glauben und ungenutztem Wissen im Fußballsport. Die Autoren greifen fußballspezifische Fragestellungen und bisher nicht überprüfte Behauptungen rund um den Fußballsport auf und analysieren diese. Im zweiten Kapitel »Kunst und Intelligenz« werden zahlreiche Versatzstücke angeführt, die verdeutlichen, dass das Fußballspiel zwischen Inspiration und Emotion (die Kunst) auf der einen Seite sowie Logik und Rationalität (die Intelligenz) auf der anderen Seite hin und her schwankt. Die Autoren legen empirische Erkenntnisse zum Training der Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Antizipation und Entscheidungsverhalten, zur Mentalität, zur Funktion und zum Nutzen neuronaler Netze, zum Analyse-Tool SOCCER und Scouting Approach vor und lassen den renommierten Experten Ernst Tanner zur Frage der Praxisrelevanz zu Wort kommen.
Das dritte Kapitel »Unter Freunden und Feinden« befasst sich mit der Bedeutung von Erlebnissen und Freundschaften sowie Streit und Konflikten rund um den Fußball. Im vierten Kapitel des Buchs »Macht und Ohnmacht im Fußball« richten die Verfasser ihren Fokus auf soziale Beziehungen, bei denen Trainer oder Sportler ihre eigenen Ziele verfolgen und durchsetzen wollen, jedoch mit unterschiedlichen Formen der Führung, Gruppenstrukturen und Hierarchien in Konflikt geraten können. Es geht etwa um die Fragestellung, ob Vertrauen in den Trainerstab und Co die Erfolgswahrscheinlichkeit des Teams erhöht. Interviews mit den erfolgreichen Trainern Otmar Hitzfeld und Ralf Rangnick reichern liefern hier vertiefende praxisnahe Einblicke in ihre Trainingsmethoden aus dem Profifußball.
Die Autoren stellen sich im fünften Kapitel wiederum die Frage, welche Rolle der Zufall im Spiel spielt. Die Datenlage wird mit einem Interview sowie psychologischen Prinzipien und Erklärungskonzepten spannend verworben, so dass am Ende so manche »Fußballweisheit« von den Autoren zu Fall gebracht wird. m sechsten Kapitel »Rotlicht und Gelbfieber« wird anhand von Statistiken aufgezeigt, in welcher Phase des Spiels Schiedsrichter den Spielern häufiger die gelbe Garte zeigen und ob die rote Trikotfarbe Einfluss auf Leistungsunterschiede hat. Tatsächlich legen Statistiken einen Zusammenhang nahe, dass nicht nur ein Kampfsportarten Gegner in roten Trikots öfter siegreich vom Platz gehen als Teilnehmer in blauen Trikots, sondern dass dies auch im Mannschaftssport tragen könnte. »Rot« schüchtert quasi ein, da es ein Warnsignal ist.
Funktioniert derartiges Verhalten dagegen nicht, sucht man häufig nach Gründen für ein Versagen, das zum Beispiel nach einem verlorenen WM-Finale Angstzustände auslösen kann. Auf Dauer belastet dies die Gedankenwelt auf und neben dem Spielfeld vollständig. Auslöser der Angst, eventuell verantwortliche kulturelle Hintergründe und welche Trainingsmöglichkeiten es im Umgang mit Drucksituationen und Versagensängsten gibt, bestimmen das Kapitel »Druck und Versagen«. Risiken sind elementare Bestandteile des Wettkampfs im Fußball, und wer sie eingeht, kann dadurch erst recht verlieren. Risiken einschätzen zu können und Entscheidungen daran auszurichten, hierfür steht schließlich das abschließende zehnte Kapitel des Sachbuchs.
»Mind Match Fußball« ist ein auch für interessierter Laien mit Liebe zum Fußball ein gut verständliches Sachbuch, das aus Studien abgeleitete Erkenntnisse mit ausgewählten Mythen und Alltagstheorien aus dem Fußballsport mixt und diese einer wissenschaftlichen Überprüfung unterzieht. Es animiert zum Mit-, Nach- und Überdenken. Zahlreiche Anekdoten und Interviews lockern das Buch auf. Die Verfasser schaffen es in beeindruckender und motivierender Art und Weise, Fragestellungen und Behauptungen rund um den alltäglichen Fußball aufzugreifen und diese in qualitativer und quantitativer Hinsicht auf ihren »Wahrheits- und Wirksamkeitsgehalt« hin zu überprüfen. Allen Fußballinteressierten kann ich dieses Sachbuch nur ans »Fußballerherz« legen: lesen und staunen.
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