Aufzüge in den Weltraum und mehr
Das mit etwas mehr als 200 Seiten noch recht schmale Werk "Space Tethers and Space Elevators" vom niederländischen Raumfahrtingenieur Michel van Pelt liefert einen breiten Überblick in ein Feld, das selbst den meisten Raumfahrtenthusiasten weithin unbekannt sein wird. Es geht um die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten von Seilen (englisch: tether) in der Raumfahrt, und zwar spezifisch um sehr lange Seile, ab einigen zehn bis hin zu mehreren zehntausend Kilometern.
Letztere fallen an, wenn die bekannteste – und auch meist die einzige bekannte – Anwendung realisiert werden soll, nämlich der Weltraumfahrstuhl von einem Punkt am Äquator auf der Erdoberfläche durch den geostationären Ring in knapp 36 000 Kilometern Höhe. Hierzu wird in der zweiten Hälfte des Buchs ausführlich Stellung genommen, auch zu der Möglichkeit von Fahrstühlen auf dem Mond und Mars.
Aber es gibt auch vielfältige weitere Anwendungen, die weniger anspruchsvoll sind als die "Königsdisziplin Weltraumfahrstuhl ". Diese erläutert van Pelt verständlich und korrekt. Hierzu gehören Seile, die Satelliten oder Komponenten eines Raumschiffs miteinander verbinden, beispielsweise um eine eigenständige Lagestabilisierung im Erdschwerefeld zu bewirken, eine atmosphärische Sonde zu schleppen oder künstliche Schwerkraft für die Mannschaft auf einer interplanetaren Reise zu erzeugen. Diverse Experimente, bis zurück in die frühen Jahre der Raumfahrt, werden im Buch beschrieben, was den Stoff durchaus auflockert und veranschaulicht.
Anspruchsvollere Anwendungen bedürfen Seillängen von Hunderten bis Tausenden von Kilometern. Damit ließen sich erhebliche Bahnänderungen durchführen, wenn die Seilstruktur in Rotation um eine Achse senkrecht zur Bahnebene versetzt wird. Van Pelt stellt auch Konzepte vor, bei denen mittels einer in einer niedrigen Erdbahn rotierenden Seilstruktur eine Nutzlast von einem sehr hoch und sehr schnell fliegenden Flugzeug aufgenommen und in eine viel höhere Erdbahn katapultiert werden könnte. Es besteht die Hoffnung, dass auf diese Art viel Treibstoff und sogar Raketenstarts eingespart werden können.
Diese Konzepte sollten jedoch kritisch hinterfragt werden, nicht nur im Kontext der konkreten technischen Machbarkeit, sondern schon auf der Ebene der zugrunde liegenden Physik. Auch der Drehimpuls einer gewaltigen rotierenden Seilstruktur im Orbit muss aufgebracht werden, da er sich bei jedem Orbitaltransfer wieder verringert. Woher kommt die erforderliche Energie, und wenn durch Raketentriebwerke beschleunigt wird, wie erfolgt die Versorgung des Komplexes mit Treibstoff, und kommt unter dem Strich wirklich noch ein Vorteil heraus?
Die Befürworter solcher Konzepte (meist kleine Firmen wie die oft zitierte "Tethers Unlimited") behaupten dies natürlich. Das Buch stellt die Konzepte bereits teilweise infrage, indem es darauf hinweist, dass schon die natürliche Drift der Bahnparameter der Machbarkeit eines orbitalen seilbasierten "Verschiebebahnhofs " vor fundamentale Probleme stellt. Es wäre wünschenswert, wenn die vorgeschlagenen Konzepte generell einer kritischen Würdigung unterzogen würden – van Pelt übernimmt an einigen Stellen vielleicht etwas zu leichtfertig die von den Protagonisten gemachten Behauptungen.
Bei einer weiteren Klasse von Anwendungen geht es um die Nutzung der Lorentzkraft im Erdmagnetfeld: Ein Satellit muss ein Seil aus leitfähigem Material ausfahren, das mittels eines Gegengewichts in radialer Richtung orientiert ist. Durch dieses Seil wird ein elektrischer Strom geschickt, was eine Kraft senkrecht zu Feldlinien und Stromfluss induziert. Damit ließe sich die Bahn ohne Treibstoffverbrauch anheben. Dieses Prinzip lässt sich auch umkehren, so dass mit dem Seil elektrischer Strom erzeugt wird – diese Energie wird dann aber der Bahn entzogen.
Eine weitere Anwendungsmöglichkeit, die im Buch erwähnt wird, ist die "Reinigung " eines planetaren Magnetfelds von geladenen Teilchen, um das Niveau schädlicher Korpuskularstrahlung auf Mensch und Maschine abzusenken.
Zurück zum Weltraumfahrstuhl von der Erdoberfläche bis zur Gegenmasse weit jenseits der geostationären Bahn. Dieses Gegenmasse hält das Seil straff, wobei gewaltige Zugspannungen auftreten, die jeden konventionellen Werkstoff ausschließen. Um einen Weltraumfahrtstuhl zu bauen, müsste das Seil aus exotischen Werkstoffen wie Kohlenstoff-Nanoröhren gefertigt werden, für welche die Fertigungsverfahren, allemal für die erforderlichen Seillängen, erst noch zu erfinden sind.
Dies wäre aber nicht das einzige zu lösende Problem, auch Punkte wie die Resistenz gegen große und kleine Weltraumtrümmer oder gegen Stürme in der niedrigen und aggressive Gase wie atomarem Sauerstoff in der hohen Atmosphäre müssten geklärt werden. Ingenieursprobleme wie die Ausfallsicherheit, die Energieversorgung und Strahlungsabschirmung des Fahrkorbs sind weitgehend ungeklärt. Zudem ist die Frage, wie denn beispielsweise Personen in vertretbarer Zeit zur immerhin 36 000 Kilometer hohen Hauptstation des Fahrstuhls transportiert werden können, noch nicht zufriedenstellend beantwortet.
Zum Thema Weltraumfahrstuhl hält der Autor nicht ausreichend Abstand von dem besprochenen Thema. Beispielsweise wird der durchaus plausible Einwand des bekannten Wissenschaftlers Freeman Dyson erwähnt, in einer aus C-Nanoröhren verwobenen Seilstruktur würde der Riss eines Strangs durch das Zurückpeitschen der Strangenden zu weiterer Ausbreitung des Schadens und einem katastrophalen Versagen führen. Dem begegnet der Autor mit vagen Vermutungen, die Energie würde in Form von Wärme dissipieren, ohne mechanischen Schaden anzurichten.
Auch zum Punkt der Dauer und der Kosten des Fahrstuhlaufbaus ist die Position des Autors letztlich zu unkritisch. Benennt dieser zunächst noch die Risiken und Kostenfaktoren und stellt sie in Relation zu denen anderer großer Technologie- und Infrastrukturprojekte, so hinterfragt der Autor am Ende die Kostenschätzung von Bradley Edwards, einem der Hauptinitiatoren des Weltraumfahrstuhlkonzepts von nur 6,2 Milliarden USDollar, nicht weiter.
Generell stört an diesem Buch, dass der Autor reine Sciencefiction und tatsächliche Entwicklungsarbeit nicht sauber trennt. Manches des zitierten Materials entstammt Literatur, die sowohl Sciencefiction- Belletristik umfasst als auch populärwissenschaftliche Abhandlungen aller möglichen Vorschläge, was mit Seilen im Weltraum angestellt werden könnte. Daraus macht der Autor keinen Hehl, und der Leser sollte dies im Hinterkopf behalten.
Ebenso ist das Konzept des "Aerovator ", das im Rahmen einer Yahoo-Internetgruppe von nicht näher genannten Enthusiasten "entwickelt" wurde und dem im Buch ein ganzes Kapitel gewidmet ist, mit einer gehörigen Prise Salz zu nehmen. Der "Aerovator" wäre eine aerodynamisch geformte und deswegen Auftrieb produzierende Struktur, die von einem Verankerungspunkt auf dem Erdboden zunächst senkrecht nach oben geht und sich in großer Höhe mehr und mehr zur Seite neigt. Die Struktur soll durch eine Anzahl Düsentriebwerke in Rotation versetzt werden. Das freie Ende würde so knapp außerhalb der Erdatmosphäre mit Orbitalgeschwindigkeit im Kreis peitschen. Ein zu startender Satellit müsste, so der Vorschlag, einfach nur am dem Seil hinaufbewegt werden, den Rest besorgt die Fliehkraft – am Ende wäre er im Orbit, ohne Treibstoff verbraucht zu haben. Dass so ein Konzept reine Fantasie ist und bleibt, liegt auf der Hand – dass es in diesem Buch auftaucht, ist schon als Makel zu werten.
Alles in allem also eine brauchbare Einführung in die Thematik "Anwendung von Seilen in der Weltraumtechnik", insbesondere für Nichtspezialisten. Allerdings ist zu fragen, ob diese auch genug Hintergrundwissen besitzen, um die spekulativen Teile des Buchs kritisch aufzunehmen.
Letztere fallen an, wenn die bekannteste – und auch meist die einzige bekannte – Anwendung realisiert werden soll, nämlich der Weltraumfahrstuhl von einem Punkt am Äquator auf der Erdoberfläche durch den geostationären Ring in knapp 36 000 Kilometern Höhe. Hierzu wird in der zweiten Hälfte des Buchs ausführlich Stellung genommen, auch zu der Möglichkeit von Fahrstühlen auf dem Mond und Mars.
Aber es gibt auch vielfältige weitere Anwendungen, die weniger anspruchsvoll sind als die "Königsdisziplin Weltraumfahrstuhl ". Diese erläutert van Pelt verständlich und korrekt. Hierzu gehören Seile, die Satelliten oder Komponenten eines Raumschiffs miteinander verbinden, beispielsweise um eine eigenständige Lagestabilisierung im Erdschwerefeld zu bewirken, eine atmosphärische Sonde zu schleppen oder künstliche Schwerkraft für die Mannschaft auf einer interplanetaren Reise zu erzeugen. Diverse Experimente, bis zurück in die frühen Jahre der Raumfahrt, werden im Buch beschrieben, was den Stoff durchaus auflockert und veranschaulicht.
Anspruchsvollere Anwendungen bedürfen Seillängen von Hunderten bis Tausenden von Kilometern. Damit ließen sich erhebliche Bahnänderungen durchführen, wenn die Seilstruktur in Rotation um eine Achse senkrecht zur Bahnebene versetzt wird. Van Pelt stellt auch Konzepte vor, bei denen mittels einer in einer niedrigen Erdbahn rotierenden Seilstruktur eine Nutzlast von einem sehr hoch und sehr schnell fliegenden Flugzeug aufgenommen und in eine viel höhere Erdbahn katapultiert werden könnte. Es besteht die Hoffnung, dass auf diese Art viel Treibstoff und sogar Raketenstarts eingespart werden können.
Diese Konzepte sollten jedoch kritisch hinterfragt werden, nicht nur im Kontext der konkreten technischen Machbarkeit, sondern schon auf der Ebene der zugrunde liegenden Physik. Auch der Drehimpuls einer gewaltigen rotierenden Seilstruktur im Orbit muss aufgebracht werden, da er sich bei jedem Orbitaltransfer wieder verringert. Woher kommt die erforderliche Energie, und wenn durch Raketentriebwerke beschleunigt wird, wie erfolgt die Versorgung des Komplexes mit Treibstoff, und kommt unter dem Strich wirklich noch ein Vorteil heraus?
Die Befürworter solcher Konzepte (meist kleine Firmen wie die oft zitierte "Tethers Unlimited") behaupten dies natürlich. Das Buch stellt die Konzepte bereits teilweise infrage, indem es darauf hinweist, dass schon die natürliche Drift der Bahnparameter der Machbarkeit eines orbitalen seilbasierten "Verschiebebahnhofs " vor fundamentale Probleme stellt. Es wäre wünschenswert, wenn die vorgeschlagenen Konzepte generell einer kritischen Würdigung unterzogen würden – van Pelt übernimmt an einigen Stellen vielleicht etwas zu leichtfertig die von den Protagonisten gemachten Behauptungen.
Bei einer weiteren Klasse von Anwendungen geht es um die Nutzung der Lorentzkraft im Erdmagnetfeld: Ein Satellit muss ein Seil aus leitfähigem Material ausfahren, das mittels eines Gegengewichts in radialer Richtung orientiert ist. Durch dieses Seil wird ein elektrischer Strom geschickt, was eine Kraft senkrecht zu Feldlinien und Stromfluss induziert. Damit ließe sich die Bahn ohne Treibstoffverbrauch anheben. Dieses Prinzip lässt sich auch umkehren, so dass mit dem Seil elektrischer Strom erzeugt wird – diese Energie wird dann aber der Bahn entzogen.
Eine weitere Anwendungsmöglichkeit, die im Buch erwähnt wird, ist die "Reinigung " eines planetaren Magnetfelds von geladenen Teilchen, um das Niveau schädlicher Korpuskularstrahlung auf Mensch und Maschine abzusenken.
Zurück zum Weltraumfahrstuhl von der Erdoberfläche bis zur Gegenmasse weit jenseits der geostationären Bahn. Dieses Gegenmasse hält das Seil straff, wobei gewaltige Zugspannungen auftreten, die jeden konventionellen Werkstoff ausschließen. Um einen Weltraumfahrtstuhl zu bauen, müsste das Seil aus exotischen Werkstoffen wie Kohlenstoff-Nanoröhren gefertigt werden, für welche die Fertigungsverfahren, allemal für die erforderlichen Seillängen, erst noch zu erfinden sind.
Dies wäre aber nicht das einzige zu lösende Problem, auch Punkte wie die Resistenz gegen große und kleine Weltraumtrümmer oder gegen Stürme in der niedrigen und aggressive Gase wie atomarem Sauerstoff in der hohen Atmosphäre müssten geklärt werden. Ingenieursprobleme wie die Ausfallsicherheit, die Energieversorgung und Strahlungsabschirmung des Fahrkorbs sind weitgehend ungeklärt. Zudem ist die Frage, wie denn beispielsweise Personen in vertretbarer Zeit zur immerhin 36 000 Kilometer hohen Hauptstation des Fahrstuhls transportiert werden können, noch nicht zufriedenstellend beantwortet.
Zum Thema Weltraumfahrstuhl hält der Autor nicht ausreichend Abstand von dem besprochenen Thema. Beispielsweise wird der durchaus plausible Einwand des bekannten Wissenschaftlers Freeman Dyson erwähnt, in einer aus C-Nanoröhren verwobenen Seilstruktur würde der Riss eines Strangs durch das Zurückpeitschen der Strangenden zu weiterer Ausbreitung des Schadens und einem katastrophalen Versagen führen. Dem begegnet der Autor mit vagen Vermutungen, die Energie würde in Form von Wärme dissipieren, ohne mechanischen Schaden anzurichten.
Auch zum Punkt der Dauer und der Kosten des Fahrstuhlaufbaus ist die Position des Autors letztlich zu unkritisch. Benennt dieser zunächst noch die Risiken und Kostenfaktoren und stellt sie in Relation zu denen anderer großer Technologie- und Infrastrukturprojekte, so hinterfragt der Autor am Ende die Kostenschätzung von Bradley Edwards, einem der Hauptinitiatoren des Weltraumfahrstuhlkonzepts von nur 6,2 Milliarden USDollar, nicht weiter.
Generell stört an diesem Buch, dass der Autor reine Sciencefiction und tatsächliche Entwicklungsarbeit nicht sauber trennt. Manches des zitierten Materials entstammt Literatur, die sowohl Sciencefiction- Belletristik umfasst als auch populärwissenschaftliche Abhandlungen aller möglichen Vorschläge, was mit Seilen im Weltraum angestellt werden könnte. Daraus macht der Autor keinen Hehl, und der Leser sollte dies im Hinterkopf behalten.
Ebenso ist das Konzept des "Aerovator ", das im Rahmen einer Yahoo-Internetgruppe von nicht näher genannten Enthusiasten "entwickelt" wurde und dem im Buch ein ganzes Kapitel gewidmet ist, mit einer gehörigen Prise Salz zu nehmen. Der "Aerovator" wäre eine aerodynamisch geformte und deswegen Auftrieb produzierende Struktur, die von einem Verankerungspunkt auf dem Erdboden zunächst senkrecht nach oben geht und sich in großer Höhe mehr und mehr zur Seite neigt. Die Struktur soll durch eine Anzahl Düsentriebwerke in Rotation versetzt werden. Das freie Ende würde so knapp außerhalb der Erdatmosphäre mit Orbitalgeschwindigkeit im Kreis peitschen. Ein zu startender Satellit müsste, so der Vorschlag, einfach nur am dem Seil hinaufbewegt werden, den Rest besorgt die Fliehkraft – am Ende wäre er im Orbit, ohne Treibstoff verbraucht zu haben. Dass so ein Konzept reine Fantasie ist und bleibt, liegt auf der Hand – dass es in diesem Buch auftaucht, ist schon als Makel zu werten.
Alles in allem also eine brauchbare Einführung in die Thematik "Anwendung von Seilen in der Weltraumtechnik", insbesondere für Nichtspezialisten. Allerdings ist zu fragen, ob diese auch genug Hintergrundwissen besitzen, um die spekulativen Teile des Buchs kritisch aufzunehmen.
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben