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Das schweigende Weltall

Seit 50 Jahren wird mit Radioteleskopen nach Signalen von intelligenten extraterrestrischen Wesen gesucht. Das bisherige Ergebnis ist: gespenstisches Schweigen. Deshalb legt Paul Davies jetzt keine Jubiläumsschrift zu SETI, der Search for extraterrestrial intelligence vor, sondern eine gründliche Untersuchung, warum wir wohl nichts hören. Ging SETI bisher vielleicht von falschen Annahmen aus? Davies ist theoretischer Physiker und seit zwei Jahren Vorsitzender einer Arbeitsgruppe, welche die Antwort der Erde nach dem "Großen Tag" vorbereitet: Wie soll die Menschheit reagieren, wenn wir die Extraterrestrischen entdeckt haben? Ziel der Abhandlung ist es auch, die Suche nach ET auszuweiten, mit weiteren Methoden als nur dem bisher ergebnislosen Lauschen nach Radiosignalen.

Als anschaulicher Ausgangspunkt der Überlegungen wird die "Drake-Formel" benutzt, mit der Frank Drake, ein amerikanischer Radioastronom, vor einem halben Jahrhundert die Zahl der intelligenten Zivilisationen in der Milchstraße berechnete. Für die astronomischen Faktoren (Wie viele sonnenähnliche Sterne? Mit wie vielen Planeten? und so weiter) gibt es seit einigen Jahren gut belegte Messwerte. Davies vertieft sich deshalb in die biologischen und sozialen Faktoren, über die wir nichts Belastbares wissen. Die Schätzwerte sind völlig unsicher, und deshalb kann das Endergebnis auch zwischen "1" (uns) und einigen Tausend Zivilisationen in der Milchstraße liegen.

Um den Faktor für die Wahrscheinlichkeit der Entstehung von Leben besser einschätzen zu können, sollten wir nicht nur im Kosmos, sondern auch hier auf der Erde und im Sonnensystem suchen. Ist das Leben auf der Erde vielleicht mehrmals entstanden, nachdem es in der Frühzeit des Sonnensystems möglicherweise mehrfach (fast) ausgelöscht wurde? Gibt es bei uns eine weitere Biosphäre aus einer früheren Genese, die mit unseren auf das Bekannte ausgerichteten Nachweismethoden nur noch nicht gefunden wurde? Ist die Entwicklung von Leben ein "kosmischer Imperativ" oder ein unwahrscheinlicher Zufall? Leben auf dem Mars zu finden reicht nicht, da es durch frühere Asteroideneinschläge einen vielfachen Materialaustausch zwischen beiden Planeten gegeben hat.

Weitere Faktoren der Drake-Formel betreffen die Wahrscheinlichkeit für die Entwicklung von Intelligenz der Lebewesen, bis hin zu den technischen Fähigkeiten zur Radio-Kommunikation. Es hat 4,5 Milliarden Jahre gedauert, bis vor gerade rund 70 Jahren, einem "kosmischen Wimpernschlag", bei uns diese Fähigkeit entwickelt wurde. Die Wahrscheinlichkeit Radiosignale aussendende Extraterrestrische zu finden, ist offenbar sehr gering. Beispielsweise hatten allein die Dinosaurier auf der Erde 200 Millionen Jahre Zeit, entsprechende technische Intelligenz zu entwickeln und Radioteleskope zu bauen. Und schon sinken unsere Sendeleistungen wieder. Wir packen die Datenübertragung in Glasfaserkabel und unsere Mobiltelefone haben nur winzige Reichweiten.

Davies schlägt weitere Programme vor, mit denen nach Spuren von ET gesucht werden könnte. Vielleicht haben sie den radioaktiven Abfall ihrer Fusionsenergieerzeugung in Sterne entsorgt, in denen es heute spektrale Anzeichen dafür geben könnte. Finden wir deshalb keine magnetischen Monopole, weil ET sie bereits zur Energiegewinnung aufgebraucht hat? Die behandelten Möglichkeiten zur Spurensuche sind so vielfältig, dass die meisten Leser davon wohl noch nichts gehört haben werden. Es ist eine interessante Reise durch eine Welt der Gedankenexperimente, die zwar physikalisch möglich sind, wenngleich es auch sehr unwahrscheinlich ist, dass sie je im Kosmos stattgefunden haben.

Auch über die Erscheinung von ET macht sich der Autor ausführlich Gedanken. Wenn er schon Millionen Jahre vor uns entstanden ist, könnte er heute "Post-biologisch" sein, in der letzten Entwicklungsstufe vielleicht ein sich selbst weiterentwickelnder unsterblicher Quantencomputer? Beim Schreiben dieses fantastischen Kapitels wird selbst der Autor traurig, sollen diese Lebewesenmaschinen die Nachfahren der fühlenden menschlichen Individuen sein? Aber möglicherweise wurde die Entwicklung der "Anderen" schon viel früher beendet, weil sie ihre eigene technologische Zivilisation nicht überlebt haben (Zerstörung der Umwelt, Kernwaffen, Epedemien,...)

Schließlich denkt Davies vorsorglich über die Reaktionen auf den Entdeckungstag nach. Wie können wir ihre Nachrichten dekodieren – ET spricht sicherlich kein Englisch? Welche Nachrichten sollten wir zurücksenden? Keinesfalls solche Trivialitäten wie die Plakette auf der Pioneer-Sonde mit dem Bild von Mann und Frau, sondern besser die Maxwell-Gleichungen, die Feldgleichungen der Relativitätstheorie. Dann könnte ET unseren Entwicklungsstand einschätzen. Wahrscheinlich sind es unsere wissenschaftlichen Fähigkeiten, die uns zu etwas Besonderem oder gar Einzigartigem im Universum werden ließen.

Für die monotheistischen Religionen, insbesondere das Christentum, könnte die Entdeckung weiterer Zivilisationen ein großes Problem werden, nicht vereinbar mit der herausgehobenen Stellung der Menschen und der Entsendung von Gottes Sohn auf die eine Erde. Aber die Kirche hat schon andere revolutionäre naturwissenschaftliche Entdeckungen wie Kopernikus und Darwin überlebt. Am Vatikan-Observatorium bekannte ein Mitarbeiter vorsorglich: ET ist mein Bruder. Einige Menschen befürchten, SETI könne selbst zu einer Religion werden: Da wird geglaubt, etwas zu finden und vorherzusagen, ohne jeden Beweis. Dem widerspricht Davies, denn bei SETI testen ernstzunehmende Wissenschaftler mit streng wissenschaftlichen Methoden eine Hypothese.

Nach der atemberaubenden, 205 Seiten langen intellektuellen Reise, wird auf den letzten zwei Seiten der Inhalt des Buchs knapp zusammengefasst. Da werden alle denkbaren Ergebnisse der Suche nach Leben und Intelligenz aufgelistet und die entsprechenden dramatischen Folgen für die Menschheit beschrieben. Schließlich bekennt sich der Autor selbst zum Thema, mit drei Seelen in seiner Brust. Als Physiker glaubt er, wir sind allein, denn die Entstehung von Leben und wissenschaftlicher Intelligenz sind ungeheuer komplex, und es gibt kein theoretisches Argument dafür, dass sie sich anderswo entwickeln müssten. Als Philosoph denkt er, es müsste doch weiteres Leben geben, wozu ist denn das riesige Universum geschaffen, wenn nur der winzige Mensch allein es betrachten kann? Und als Mensch wünscht er sich ein Universum voll von intelligenten Geschwistern im All. Auf jeden Fall sollte SETI ausgeweitet werden, damit wir unsere Stellung im Universum erkennen können.

Eine spannende Lektüre auf naturwissenschaftlicher Grundlage, bei der man sehr vieles über Astronomie, Physik, Biologie, Religion und Philosophie lernen kann. Wo Sciencefiction-Literatur und -Filme angesprochen (und Unmögliches darin widerlegt) werden, stammen die Zitate überwiegend aus dem amerikanisch- englischen Kulturkreis. Sie dürften den hiesigen Lesern oft nicht vertraut sein. Erfreulich ist deshalb die 20-seitige Sammlung von Quellenangaben und Texterläuterungen im Anhang. Wer das Buch mit Schulenglisch-Kenntnissen angeht, sollte ein Wörterbuch zum gelegentlichen Nachschlagen auf den Gedankenflug mitnehmen.

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  • Quellen
Sterne und Weltraum 10/2010

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