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Zurück zum Mond!

Der Titel des Buchs "The Seventh Landing" verkündet die Wünsche seines Verfassers, eines amerikanischen Wissenschaftsjournalisten. Es ist nicht die Überschrift des offiziellen Programms der NASA, denn gegenwärtig gibt es keine Entscheidungen für Mondflüge oder gar für eine dauerhafte Station dort. Michael Carroll versteht es meisterlich, seine Leser für das Abenteuer Raumfahrt zu Mond und Mars zu begeistern.

Allerdings: Die Lage in den USA ist schwierig, weil die restliche Spaceshuttle- Flotte in den nächsten Jahren aus Alters- und Sicherheitsgründen stillgelegt werden soll. Das Nachfolgeprogramm "Constellation" wurde gerade vom US-Präsidenten Barack Obama ernsthaft in Frage gestellt. Es könnte eine mehrjährige Lücke entstehen, in der das einst in der Weltraumfahrt führende Land keine Fähigkeiten zum Start von Astronauten in die Erdumlaufbahn besitzt, geschweige denn zum Mond.

Carroll stellt das Constellation-Programm in allen Einzelheiten vor. Seine vier Hauptbestandteile umfassen zwei Raketen, Ares I und Ares V. Sie können das neu entstehende Raumschiff Orion für vier Astronauten beziehungsweise die geplante Landefähre Altair transportieren. Nach Kopplung in der Erdumlaufbahn könnte die Mondfahrt beginnen. Ausführlich wird die Entwicklung dieser Elemente unter Einbeziehung aller Erfahrungen der amerikanischen und russischen Weltraumfahrt beschrieben. So sind allein den neuen Raumanzügen acht Seiten gewidmet (in den neuen Handschuhen soll man sich keine blutigen Finger mehr holen), ebenso lange Kapitel den Mondrovern (sie sollten künftig Druckkabinen erhalten) und den Häusern auf dem Mond (aufblasbar oder fest?).

Gründlich wird der bevorzugte Lande- und Siedlungsplatz vorgestellt, der Rand des Shackleton-Kraters am Südpol des Mondes. Dort gibt es einzigartige Bedingungen: ewiges Sonnenlicht zur Energiegewinnung, Wassereis im ewigen Schatten des Kraterinneren, moderate Temperaturen – ähnlich wie auf dem fernen Reiseziel Mars – und die Nachbarschaft zum größten Einschlagkrater im Sonnensystem, dem Südpol-Aitken-Becken.

Das Buch wird eingeleitet mit einer Schilderung des Wettlaufs zum Mond während der Zeit des Kalten Kriegs. Nach anfänglichen Erfolgen der Sowjetunion mit unbemannten Sonden glückte den USA mit dem Apollo-Programm dann in einer beispiellosen Kraftanstrengung die sechsmalige Landung von Astronauten auf dem Mond. Damit war der Wettlauf um die technologische Führungsrolle in der Welt entschieden. Der Mond wurde seither nur noch selten von unbemannten Sonden besucht. Dieser technische Wettlauf ist eine atemberaubende Geschichte. Tagesgleich mit der ersten erfolgreichen Landung von Apollo 11 versuchte die Sowjetunion mit Luna 15 eine robotische Probenentnahme und Rückführung zur Erde.

Ein Anhang des Buchs gibt eine ausführliche Übersicht über alle Flüge zum Mond und ihre wissenschaftlichen und technischen Hintergründe. Die gegenwärtige Diskussion in den USA über die Zukunft der bemannten Raumfahrt wird in diesem Buch lebendig geschildert. Da gibt es Gruppen, die sagen, auf dem Mond waren wir doch schon, wir brauchen höhere Ziele, den Mars. Das Constellation-Programm böte die Möglichkeit, den Mars auch ohne Umweg über den Mond zu erreichen, das sei zudem billiger. Eine andere Gruppe ist sich sicher: Bevor es zum Mars gehen kann, müssen wir lange Aufenthalte auf einem lebensfeindlichen Himmelskörper erst erlernen. Und dafür bieten sich die nur wenige Tage dauernden Reisen zum Mond an, statt gleich auf den achtmonatigen Flug zum Mars zu setzen.

Dagegen wenden die Mondflugkritiker ein, es wäre einfacher, auf einem Asteroiden zu üben, dorthin gelangt man ohne viel Treibstoff zum Abbremsen und Wiederaufstieg, viel billiger als beim schweren Mond. Aber: den Treibstoff für die Rückfahrt kann man doch auf dem Mond oder dem Mars produzieren, wird eingewandt. Die unterschiedlichen chemischen Kochrezepte (aus Regolith beziehungsweise Kohlendioxid) für beide Himmelskörper werden im Buch erläutert.

Carroll spricht sich klar für die Rückkehr zum Mond und eine dauerhafte Station dort aus. Ein eindrucksvolles Kapitel schildert die einzigartigen Forschungsmöglichkeiten. Nur der Mond besitzt das ungestörte Archiv über das frühe Bombardement im inneren Sonnensystem. In den Kältefallen der polaren Krater sind die flüchtigen Bestandteile der ursprünglichen Einschlagkörper als Eise aufbewahrt. Die Bearbeitung der umfangreichen Liste der offenen wissenschaftlichen Fragen kann zu vielen neuen Einsichten in die Entstehung eines Planetensystems und die Entwicklung des Lebens führen. Auf jeden Fall folgen klügere Forschungsziele für die spätere Erkundung des Mars und eine größere technische Sicherheit für diese möglicherweise mehrjährige Mission.

Das Buch ist so packend geschrieben, wie man das von einem Wissenschaftsjournalisten erwarten darf. In Kästen sind viele Gespräche mit amerikanischen und russischen Astronauten und NASA-Wissenschaftlern wiedergegeben. Allerdings werden zusätzlich zahlreiche Zitate in den laufenden Text eingegeben, was den Lesefluss durch Stil-, Themen- und Niveau- Wechsel etwas stört.

Das Buch enthält viele Fotos, die man bisher nicht gesehen hat. Carroll ist auch Kunstmaler (Space Art) und erlaubt uns so den ganzseitigen Blick auf Ungesehenes, wie die Landung der sowjetischen Luna 9 oder den von ihm in etwa fünf Jahren erwarteten Start der Ares-V-Rakete aus dem Pelikan-Paradies Florida. Vermisst habe ich lediglich ein Schema über die Startfolge und den Zusammenbau der Constellation- Elemente im Weltraum. Das würde die Manöver und Missionen auf einen Blick erklären, im Text ist das schwieriger zu verfolgen.

Wer sich für die Zukunft der bemannten Raumfahrt interessiert und die in den nächsten Jahren in den USA zu treffenden Entscheidungen verstehen möchte, wird mit diesem Buch gut vorbereitet. Die NASA wird sich aus finanziellen und politischen Gründen ohne internationale Partner kaum allein auf die Reisen zu Mond und Mars begeben. Ein hochwillkommener Partner ist dabei Europa.

Deshalb betrifft die Suche nach dem besten Weg auch uns. Erfreulicherweise legt Carroll sich nicht auf schnell veraltende Zeitpläne fest und nennt für alle Meilensteine nur frühestmögliche Daten. Auch wenn die Wege, so wie hier beschreiben, schließlich begangen werden, müssen wir auf die nächste Reise noch mindestens ein Jahrzehnt warten. Oder noch länger, falls die Mittel für die NASA nicht um mehrere Milliarden Dollar erhöht werden. Beeindruckend ist die Offenheit, mit der Für und Wider aus Wissenschaft, Politik, Technologie, Finanzierung und privatwirtschaftlichen Interessen der Industrie gegeneinander abgewogen werden. Die ehrgeizigen Chinesen gestatten uns bisher keinen tieferen Einblick in ihre geplante Mondfahrt. Vielleicht schaffen sie die siebte Landung?
  • Quellen
Sterne und Weltraum 4/2010

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