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»Tobias Mayer«: Ein kaum bekannter Astropionier

Beinahe gleichzeitig, aber voneinander unabhängig, erklommen zur Mitte des 18. Jahrhunderts die Namensvettern Tobias und Christian Mayer die astronomische Karriereleiter, um dann als angesehene Wissenschaftler an ihrer jeweiligen Wirkungsstätte eine bedeutende Sternwarte zu gründen.
Globus, der nicht auf dem Kopf steht

Dabei könnten die Lebensläufe der beiden Astro­nomen gar nicht unterschiedlicher sein. Während der im Jahr 1719 geborene Christian Mayer eine hervorragende Ausbildung durch verschiedene Jesuiten-Universitäten genoss und es bis zum Gründungs­direktor der Mannheimer Sternwarte brachte, schaffte es sein 1723 in Marbach geborener Namensvetter Tobias Mayer als Autodidakt – ohne je an einer Uni studiert zu haben – durch immensen Fleiß und entsprechendes Talent zur Berufung als Professor an der noch jungen Universität in Göttingen, wo er auch an der Gründung der ersten Sternwarte beteiligt war.

Zum 300. Geburtstag dieses Aus­nahme­talents hat der Kulturwissenschaftler Thomas Knubben nun eine Biografie vorgelegt, die mit viel Liebe zum Detail den Lebensweg des in einfachen und ärmlichen Verhältnissen aufgewachsenen Waisen­knaben von seinen ersten Erfolgen als begabter Kartograf über ambitionierte ­Arbeiten in Mathematik und Astronomie bis hin zu den höchsten akademischen Weihen einer Hochschullaufbahn nachzeichnet.

Bereits im einleitenden Kapitel, das Tobias Mayers Hochzeitsreise im Jahr 1751 gewidmet ist, führt uns der Autor an eine Schlüsselstelle in Mayers kurzem, nur 39 Jahre währenden Leben: Sie bedeutet mit dem Abschied von Nürnberg und vom Kartenverlag »Homanns Erben« auch den Abschied von seinem bisher gewohnten Leben, denn hier in dieser Stadt hatte er durch seine auf wissenschaftlicher Basis hergestellten Kartenwerke wie auch durch viel beachtete Studien in den naturwissenschaftlichen Fächern eine hohe Reputa­tion genossen, die ihm letztlich den Ruf nach Göttingen einbrachte. Dorthin führt ihn nun die Reise, wo ihn ein neues Leben erwarten wird. Wie es sich für einen obsessiven Kartografen gehört, hatte er auch für diese Fahrt mit der Kutsche eine für damalige Verhältnisse präzise Karte, genannt »Iter Mayerianum«, angefertigt.

In den ersten Kapiteln des Buchs lässt der Autor den Leser daran teilhaben, wie sich der junge Mayer als begabter Zeichner und Wissenschaftskommunikator seine ersten Sporen verdient, indem er beispielsweise als 16-jähriger Lateinschüler den ersten kartografisch exakten Stadtplan von Esslingen erstellt, zwei Jahre später sein erstes Buch über Probleme der Geometrie publiziert und im Alter von 22 Jahren den »Mathematischen Atlas« sowie ein umfangreiches Buch über das Fortifika­tionswesen veröffentlicht. Erste Annäherungen an die Astronomie ergeben sich, als Tobias Mayer im Rahmen seiner kartografischen Arbeiten die Notwendigkeit erkennt, zur Steigerung der Genauigkeit sich astronomischer Messverfahren zu bedienen, wobei ihm aber auch die Problematik der Längengradbestimmung bewusst ist. Diese ersten neun Kapitel des Buchs, die vor allem Mayers kartografischem Werk – also der Vermessung der Erde – gewidmet sind, zeichnen ein sehr lebendiges und umfassendes Bild vom kulturgeschichtlichen Umfeld, in dem das junge Genie seiner ungewöhnlichen Karriere nachgeht.

Für den astronomisch interessierten Leser wird das Buch ab Kapitel 10 interessanter, das mit »Die Vermessung des Himmels« überschrieben ist und die Entstehung von Mayers Mondkarte beschreibt, die als Novum selenografische Koordinaten enthielt und für Jahrzehnte als genaueste Darstellung der Mondoberfläche galt. Womit wir beim eigentlichen Thema Mond wären, denn die von Mayer in Göttingen berechneten Mondtafeln, die durch Messung des Mondabstands zu ausgewählten Fixsternen erstmalig eine genaue Längenbestimmung auf See ermöglichten, machen den eigentlichen Bekanntheitsgrad des Astronomen aus. Natürlich stand Mayers Verfahren der Monddistanzen, über dessen astronomischen Hintergrund man als Leser gerne etwas mehr Details erfahren hätte, in direkter Konkurrenz zu John Harrisons Schiffschronometer, aber beide Methoden konnten die Navigation auf dem Meer entscheidend verbessern und mussten sich den vom englischen Parlament ausgelobten Preis für die Lösung des so genannten Längenproblems teilen.

Die Beschäftigung mit den Monddistanzen regten Tobias Mayer im Hinblick auf die Einrichtung der neuen Göttinger Sternwarte wohl auch zur Erfindung besonders präziser Instrumente zur Winkelmessung an. Über das von ihm erfundene Repetitionsinstrument, das Recipiangel, und seinen Spiegelkreis wie auch über das damit zusammenhängende Wiederholungs- oder Multiplikationsverfahren erfahren wir in Knubbens Buch leider nichts. Über solche Instrumente und besonders auch über das Wirken Mayers als Astronom in Göttingen informiert in mehr Ausführlichkeit die schon etwas ältere Biografie von Eric Gray Forbes, die 2023 von Erhard Anthes neu herausgegeben wurde. Dieses Werk, mit dem sich Knubbens Buch messen lassen muss, berichtet auch über einen von Mayer erstellten Sternkatalog sowie über seinen Nachweis der Eigen­bewegung von Sternen und enthält ein Kapitel über Mayers Erdbeben-, Magnetismus- und Farbentheorie. Im Übrigen hat bereits vor zehn Jahren der Autor Bernhard Weißbecker eine lesenswerte Biografie über Mayer publiziert, deren Titel dem hier zu besprechenden Buch zum Verwechseln ähnlich klingt.

Die Stärke des vorliegenden Werks von Thomas Knubben sehe ich in der souveränen Art, wie der Autor am Beispiel eines genialen Astronomen und Hochschullehrers die Rolle von Naturwissenschaft und Technik im Zeitalter der Aufklärung mit viel ­Detailwissen porträtiert und dabei die Problematik ihrer Akzeptanz durch das gesellschaftliche Umfeld akribisch schildert. Dafür beispielhaft stehen köstliche Anekdoten, wie Mayer etwa unter den Querelen seines ungeliebten Kollegen und Kodirektors der Sternwarte Johann Andreas Segner zu leiden hatte, der die Uhr der Sternwarte verstellte und damit seine Himmelsbeobachtungen zunichtemachte (S. 154). Oder welcher Berufungspoker sich abspielte, als Mayer auf Vorschlag von Leon­hard Euler eine besser dotierte Stellung an der Königlich-Preußischen Aka­demie der Wissenschaften zu Berlin an­geboten wurde, was die Universität in Göttingen nur durch eine bessere Bezahlung und weitere Vergünstigungen abwenden konnte (S. 161).

Ich habe das Buch mit Genuss gelesen und möchte es solchen Lesern empfehlen, die sich für die Lebensumstände des früh vollendeten und einstmals berühmten, aber heute fast vergessenen Astronomen der Aufklärungszeit interessieren, ohne jedoch großen Wert auf die Vermittlung genauerer astronomischer Zusammenhänge zu legen. Das Büchlein zeigt mit vielen in den Text eingestreuten historischen Abbildungen ein gediegenes Erscheinungsbild und enthält ein ausführliches Verzeichnis der Primär- und Sekundärliteratur sowie diverse Nachweise der verwendeten Quellen.

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