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Herausforderung Internet

Eigentlich müssten wir uns freuen. Das Wissen der Welt wächst exponentiell, dank moderner Medien können wir heute immer und überall Neues erfahren. Hirnforscher beteuern zudem, das Gehirn sei schier unbegrenzt aufnahmefähig und ein Ende seiner Kapazität nicht abzusehen. Die Menschen haben also gute Chancen, immer klüger zu werden.

Für den Autor und Onlinephilosophen David Weinberger setzt das allerdings voraus, dass die moderne Gesellschaft mit der Ressource Wissen anders umgeht als bislang. Sie müsse völlig neu gedacht werden. Der Harvard-Forscher sieht im Internet dasjenige Medium, welches unser Wissen in Zukunft erzeugt, verteilt und organisiert. Vernetzung sei dabei der entscheidende Faktor.

Früher haben wir uns vor allem aus Büchern schlau gemacht; die kommen bei Weinberger jedoch nicht gut weg. Bücher enthielten abgeschlossene, nach strengen Vorgaben lektorierte Gedanken von vermeintlicher Autorität, die oft schon bei der Veröffentlichung veraltet seien. Zudem erreichten sie nur ein eng begrenztes Publikum, das kaum eine Möglichkeit habe, auf das Gedruckte zu reagieren.

Ganz anders das Internet – hier sei alles aktuell, interaktiv, hochvernetzt über Links, die ein schier grenzenloses Weiterspinnen und Vertiefen des Themas erlauben. Es erreicht eine ungeheure Zahl von Menschen, von denen jeder potenziell zum Experten werden könne. Weinbergers Vision: Das Wissen der Zukunft ist nicht mehr an Trägermedien geknüpft und weder räumlich noch stofflich gebunden – es ist das Netzwerk selbst.

Daraus zieht er weit reichende Schlüsse. So fordert er unter anderem möglichst wenige Beschränkungen im Netz. Denn diese würden die neue Art des Wissens grundsätzlich zunichtemachen. Weinbergers Buch ist eine kluge Analyse der Möglichkeiten, wie wir uns gesellschaftlich und individuell weiterentwickeln können. Es bietet insofern eine Art Gegenentwurf zu dem düsteren Lamento à la Manfred Spitzer, der vor den Gefahren der digitalen Welt warnt.

Weinberger betrachtet – ganz amerikanisch  – mögliche Probleme eher als Chancen. Dem Einzelnen werde zwar einiges abverlangt, um sich im digitalen Informationsdschungel zurechtzufinden. Doch letztlich führe das nicht dazu, dass wir weniger wüssten, nur eben anders als heute. Ist das nicht allzu optimistisch gedacht? Will das Gros der Menschen sich überhaupt all das neuartige, immer und überall verfügbare Wissen erschließen? Oder nicht viel lieber eine Pause machen vom ständigen Dazulernenmüssen und sich stattdessen von Zeitungen mit großen Buchstaben die Welt erklären lassen? Eines macht Weinberger in seinem Buch deutlich: Das Internet fordert nicht nur unsere Gesellschaft heraus, sondern auch jeden Einzelnen.

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  • Quellen
Gehirn und Geist 6/2013

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