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Kein Goldstaub

"Turning Dust to Gold", geschrieben von einem Professor für Raumfahrttechnik, wählt einen für die technische Literatur eher ungewöhnlichen Ansatz: Aus der Sicht der Zukunft soll die Geschichte der Erschließung, Besiedlung und technischen Nutzbarmachung des Mondes und des Planeten Mars aufgerollt werden. Dies ist eine interessante Idee und hätte, wenn die Möglichkeiten der Kombination des belletristischen Stils mit dem technischen Wissen des Autors voll genutzt worden wären, zu einem informativen Buch führen können, das leichter lesbar ist als ein technisches Werk, aber wissenschaftlich fundierter als ein Sciencefiction-Roman.

Diese Chance wurde leider vergeben. Anstatt die Idee des Rückblicks aus der Zukunft konsequent zu nutzen, wurde das Buch ein Sammelsurium verschiedener, paralleler, aber nicht verwobener und auch nicht unbedingt kompatibler Ansätze.

Da sind zum einen die Beschreibungen der fiktiven Person Yerah Timoshenko aus dem Jahre 2169, die auf dem Mond geboren wurde, ebenso wie ihre Vorfahren, seit ihre Ur-Ur-Ur-Großmutter im Jahre 2029 zu einer der ersten wissenschaftlichen Mondbasen emigrierte. Timoshenko reißt vieles an, was geschehen müsste, damit ihre Geschichte Realität werden kann.

Allerdings verharren ihre Darlegungen immer im Ungefähren und scheinen eine unplausibel glatte und zielstrebige Historie wiederzugeben. Ferner reitet sie auf historischen Ereignissen herum, die bereits heute keine Relevanz mehr haben und aus der Sicht des späten 22. Jahrhunderts erst recht als unwichtig erachtet werden dürften, beispielsweise die Space Exploration Initiative von Präsident George Bush aus dem Jahre 1989. Den narrativen Kapiteln aus der Zukunftsperspektive werden gleichrangig ganz andere Formate gegenübergestellt. Beispielsweise enthält das Buch ungekürzte Reden der Präsidenten George W. Bush und John F. Kennedy. Das ist schlicht zu lang und wirklich nichts Neues.

Das Buch reißt einzelne Themenkreise an, angefangen mit den Wegen zum Aufbau einer permanenten Mondbesiedlung: Motivation, Spin-Offs der gewonnenen Technologien für die terrestrische Nutzung bis hin zu einer eigenständigen lunaren Ökonomie. Dabei geht es um Fragen wie Tourismus, technische Fragen bei Mondbasen und die Nutzung lokaler Ressourcen. Des Weiteren spricht der Autor physiologische und psychologische Fragen, Weltraumtransport, kommerzielle Nutzung, Visionen, den Mars und schließlich konkrete Punkte an, die von der kommenden Generation angegangen werden müssen.

Das Thema Mars, obwohl laut Titel eigentlich eines der Hauptthemen, wird nur knapp auf weniger als 20 Seiten abgehandelt. Diese fassen zunächst weitgehend Bekanntes zusammen, wie eine Auflistung der fundamentalen planetologischen Daten und der Mineralogie des Basalts. Nur sehr kurz wird ein mögliches Marshabitat unter Nutzung lokaler Ressourcen besprochen. Das eigentliche Thema der Besiedlung kommt nicht zur Sprache. Offenkundig geht es dem Autor primär um den Mond, nicht um Mars – die Erwähnung des Roten Planeten wird lediglich an verschiedenen Stellen als Aufhänger für Argumente gegen direkte Missionen zum Mars ohne vorherige bemannte intensive Erkundung bis hin zur permanenten Nutzung des Mondes genutzt. Dagegen ist im Prinzip nichts einzuwenden, allerdings weckt der Titel des Buchs vielleicht Erwartungen, die nicht erfüllt werden.

Sehr ausführlich werden dagegen Bautechniken auf dem Mond betrachtet, in Anbetracht der spezifischen Anforderungen durch die Kombination von geringer Schwerkraft, Vakuum, ungebremster kosmischer Strahlung und Meteoriten. Störend ist aber, dass heute schon diskutierte offene Fragen, von denen bekannt ist, dass sie ein erhebliches Problem für den permanenten Aufenthalt auf dem Mond darstellen, wie beispielsweise der elektrostatisch geladene und deswegen sehr mobile toxische Feinstaub, in einem Nebensatz abgehandelt werden. Gerade hier hätte ich eine detaillierte Diskussion der Maßnahmen erwartet.

Auch die Aspekte der Nutzung der lunaren Ressourcen werden zu knapp abgehandelt. Die chemische Zusammensetzung des Regoliths mit seinen hohen Anteilen an Sauerstoff, Silizium, Eisen, Kalzium, Aluminium und Magnesium ist altbekannt. Diese Elemente sollen extrahiert und für Bau und Betrieb der Basen genutzt werden. Eine Erläuterung der Extraktionsprozesse sucht man jedoch vergebens.

Das Bildmaterial ist von unterschiedlicher Qualität. Manches, wie die farbige Schnittzeichnung eines Mondhabitats, welche die Titelseite ziert, ist ein echtes Highlight. Zu viele Bilder sind aber von so schlechter Auflösung, dass man Details nicht erkennt und noch nicht einmal Beschriftungen lesen kann. Grafiken, die einen komplexen technischen Vorgang wie den robotischen Aufbau von Marshabitaten zeigen sollen, dürfen auf keinen Fall handgemalte Skizzen wie von Kinderhand sein, auf denen man gar nichts erkennt.

Jedes Kapitel enthält Interviews mit Ingenieuren, Astronauten, Raumfahrtmedizinern, Architekten und Visionären. Diese Interviews sind die packendsten Anschnitte des Buchs. Auffallend ist allerdings, dass die Experten weitgehend der Meinung Benaroyas widersprechen.

Dieses Buch wirkt auf mich unfertig und unausgewogen. Das Bildmaterial müsste kritisch überarbeitet werden. Zu lange Abschnitte wie Politikerreden, bauingenieurstechnische Ausführungen und die Ergebnisse der ökonomischen Modellrechnungen sollten konsequent gekürzt werden, ebenso wie rein spekulative Betrachtungen zum Sport oder Sex. Physikalische, verfahrenstechnische und andere ingenieurstechnische Kapitel sollten dagegen deutlich erweitert werden, damit zumindest auf die bekannten offenen Fragen einigermaßen ausreichend eingegangen wird.

  • Quellen
Sterne und Weltraum 1/2012

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