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Die Spaltung des Milliardstels

1959 hielt der amerikanische Physiker Richard Feynman (1918-1988) einen Vortrag, in dem er die Idee vorstellte, man könne Objekte Atom für Atom manipulieren. Inzwischen untersucht man sogar, wie sich einzelne Elektronen in Atomen und Molekülen verhalten. Was genau passiert, wenn zwei Atome eine chemische Bindung eingehen? Mit moderner Lasertechnik kann man heute den Elektronen regelrecht dabei zusehen, wie sie chemisch reagieren. Neben der Aussicht, damit fundamentale Fragen zur Physik der chemischen Bindung zu beantworten, weckt das auch die Hoffnung, künftig chemische Reaktionen sehr viel präziser kontrollieren zu können.

Möglich wird das durch die so genannte Attosekundentechnik – einen relativ jungen Bereich der Physik, der mit extrem hoher Zeitauflösung die Bewegungen von Elektronen enthüllt und so in deren Quantenwelt eintaucht. Man benötigt zur Untersuchung Lichtblitze, deren Dauer im Bereich einer Attosekunde liegt (dem Milliardstel einer milliardstel Sekunde). Entsprechende Verfahren werden unter anderem am Max-Planck-Institut für Quantenoptik (MPQ) in Garching entwickelt. Thorsten Naeser, der Autor des Buchs, ist dort Referent und stellt das junge und spannende Forschungsgebiet seiner Kollegen vor. Dabei zeigt sich: Die interessantesten Jahre auf diesem Feld dürften noch bevorstehen, denn die Attosekundentechnik ist gerade erst entwickelt und beginnt nun, wissenschaftlichen Ertrag abzuwerfen. Das allein ist Grund genug, sich dem Thema zu widmen.

Nach kurzen Einführungen in die Physik des Lichts, die Geschichte des Lasers und die Kurzzeitfotografie befasst sich Naeser mit der Welt der Moleküle, die durch Elektronen zusammengehalten werden. Sodann erklärt er, wie die Attosekundentechnik funktioniert, und geht auf zahlreiche Experimente ein, die sich ihrer bedient haben. Die kompakte Zusammenschau dieser jungen Ergebnisse ist sicherlich der wertvollste Teil des Buchs. Es sind wahrlich fantastische Einblicke in die Quantenwelt, die die Attosekundentechnik in den zurückliegenden Jahren ermöglicht hat.

Leider ist der Text nicht immer gut strukturiert. Er enthält zahlreiche Vor- und Rückgriffe; an anderen Stellen wiederholt er Aspekte, die er schon zuvor ausgeführt hat – und lenkt dadurch von wichtigeren Passagen ab. Auch beschreibt der Autor viele Experimente lediglich verbal und strapaziert damit das Vorstellungsvermögen seiner Leser: Es fehlt an verständlichen, anschaulichen Grafiken. Zudem nehmen viele Passagen Bezug auf berühmte Experimente der Physik, stellen diese aber nicht hinreichend ausführlich vor. Einem Leser mit physikalischen Vorkenntnissen mögen diese Abschnitte als Erinnerungsanstoß genügen, doch einer breiteren Öffentlichkeit wird man damit nicht gerecht.

Die Objekte, die mit Attosekundenpulsen untersucht werden, sind extrem klein, die untersuchten Prozesse laufen blitzschnell ab, und Lichtwellen schwingen unglaublich häufig pro Sekunde. Es wimmelt in dem Buch deshalb von griechischen Vorsilben, die große Zehnerpotenzen bezeichnen: Picometer, Terahertz, Femtosekunden und so weiter. Es wäre sinnvoll gewesen, diese Vorsätze am Anfang des Buchs gebündelt zu erklären und die entsprechenden Größenordnungen illustrativ zu veranschaulichen. Immerhin findet man entsprechende Angaben in zwei Anhängen, die neben einem ausführlichen Glossar das Buch abrunden.

Wie innovativ die Attosekundentechnik ist, wird besonders deutlich in den verschiedenen Interviews des Autors mit Wissenschaftlern. Die meisten Gesprächspartner forschen noch aktiv. Dadurch vermittelt das Buch den Eindruck, das junge Gebiet sei am Durchstarten. Der Autor profitiert dabei von seiner Nähe zu den Forschungsgruppenleitern am MPQ. Die hat jedoch auch eine Kehrseite: Als Leser fragt man sich, ob das Feld wirklich so stark von diesem Institut dominiert wird – oder ob das Buch auch den Zweck verfolgt, das Renommee des MPQ zu stärken.

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