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Ansteckende Emotionen

Der Hirnforscher Christian Keysers nimmt sich in seinem Buch eines faszinierenden Themas an: der Spiegelneurone. Die Arbeitsgruppe um den Italiener Giacomo Rizzolatti, bei dem auch Keysers einige Zeit arbeitete, entdeckten diese besondere Art von Hirnzellen Anfang der 1990er Jahre bei Experimenten zur Bewegungssteuerung von Affen. Die Forscher der Universität in Parma registrierten die Aktivität von einzelnen Nervenzellen im prämotorischen Kortex der Tiere, während diese zum Beispiel nach einer Rosine griffen. Erstaunlicherweise wurden manche der Neurone auch dann aktiv, wenn der Affe nur zusah, wie ein anderer, etwa der Versuchsleiter, nach der Trockenfrucht griff.

Das Gehirn des Affen schien die beobachtete Handlung ansatzweise selbst zu planen – Wahrnehmen und Handeln waren offenbar nicht so strikt getrennt, wie man bis dahin glaubte. Vor diesem Hintergrund entwirft Keysers sein theoretisches Konzept: Gehirne, die durch gemeinsame Aktivität neuronaler Schaltkreise verknüpft sind, stellen demnach ein eigenes organisches System dar, welches das Rätsel der sozialen Interaktion zu lösen verspreche.

Wir verstehen andere Menschen, weil die Spiegelneurone simulieren, was wir selbst fühlen würden, wenn wir die gleiche Handlung ausführten. Je stärker die entsprechenden Zellen feuern, so die Theorie, desto intensiver das Mitgefühl.

Der Grad der Aktivierung hängt dabei auch von den individuellen Erfahrungen ab. So können Profibasketballer anhand der Wurfbewegung eines anderen Spielers mit größerer Wahrscheinlichkeit als etwa Sportjournalisten oder Trainer vorhersagen, ob der Ball im Korb landet.

Dagegen lösen beobachtete Greifbewegungen bei Körperbehinderten, die ohne Hände zur Welt kamen, vermehrte Aktivierung in Regionen aus, die die Füße repräsentieren; die Betreffenden übertragen die fragliche Handlung offenbar auf die ihnen zur Verfügung stehenden Gliedmaßen. Die Aktivität der Spiegelneurone beschränkt sich zudem nicht aufs Sehen, sondern tritt auch beim Hören auf (etwa beim Geräusch zerreißenden Papiers). Spiegelneurone sind also multimodal und spezifisch aktiv.

In erzählfreudigem Stil führt Keysers den Leser durch die junge Wissenschaft der "ansteckenden Emotionen". Spannende Forschungsergebnisse, die er im Lauf dieser Reise immer wieder streift, bleiben jedoch oft vage: "In pädagogischer Hinsicht lässt das Spiegelsystem vermuten, dass abstrakte Theorie nicht immer die wirksamste Lehrmethode sein dürfte." Ja, gut – und weiter?

Zu guter Letzt konstatiert Keysers auch noch, Ethik habe "mehr mit Fühlen als Denken zu tun". Er schließt sein Werk mit Kants Ausspruch vom gestirnten Himmel und dem moralischen Gesetz. Doch gerade in Kants Moralphilosophie wird jede Form "moralischer Gefühle" durch Vernunft und Freiheit überwunden. Es bleibt ein fader Beigeschmack.

  • Quellen
Gehirn und Geist 9/2013

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