Diesseits der Lust
Die Vagina – bloß ein Geschlechtsteil zur Fortpflanzung und sexuellen Befriedigung? Nein! Ihre Bedeutung geht weit darüber hinaus. Diese Ansicht vertritt die US-amerikanische Feministin Naomi Wolf in ihrem neuen Buch. Zwei Jahre ergründete sie für ihre Recherche die Geschichte der Weiblichkeit. In einer Mischung aus Erfahrungsbericht, Kulturanalyse und Expertenbefragung nähert sich Wolf dem "Kulturgut" Vagina und spannt dabei einen weiten Bogen von den sexuellen Vorlieben weiblicher Laborratten bis zur hohen Kunst des Tantra.
Den Ausgangspunkt bildet eine persönliche Leidensgeschichte der Autorin. Auf Grund einer spät diagnostizierten Quetschung eines Beckennervs schwand eines Tages ihr gewohntes Lustempfinden beim Orgasmus. Nach einer Odyssee durch Arztpraxen ließ sich das Problem durch eine simple OP beheben. Doch Wolfs Interesse für die Komplexität der Nervengeflechte im weiblichen Körper war geweckt.
Besonders erstaunte sie, wie eng diese mit dem Gehirn, der Biochemie des Organismus sowie mit Selbstbewusstsein und Kreativität von Frauen verknüpft war: Die Vagina entpuppte sich als zentrale Schnittstelle zwischen Körper und Geist, sogar als Quelle transzendenter Zustände.
Wolf stellt in ihrer eindrucksvollen Materialsammlung die Wahrnehmung der Vagina in Mythologie, Musik und Literatur dar. Dabei zeichnet sie verschiedene kulturelle Zugänge zum weiblichen Geschlecht kenntnisreich nach – etwa die in Asien als heilig verehrte "Yoni" oder die dem männlichen Lustgewinn unterworfene "cunt".
Die Autorin hinterfragt aber auch aktuelle Entwicklungen wie die zunehmende Pornografisierung der westlichen Gesellschaft. Diese degradiere die Vagina zu einer "allzeit verfügbaren" Körperöffnung, die notfalls per Schönheitschirurgie perfektioniert werden müsse.
So manche der Ideen und Argumentationslinien in Wolfs Buch können kaum Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben. Zu oft beruft sich die Autorin auf persönliche Erfahrungen und die Einschätzungen der von ihr befragten Frauen und Männer. Die Wahrheit über das weibliche Geschlecht lässt sich daraus nicht ableiten. Aber das ist auch nicht nötig.
Trotz (oder gerade wegen) des subjektiven Blickwinkels ist Wolfs Buch eine aufschlussreiche Reflexion über die vielfältigen Rollen und Bedeutungen der Vagina. Es bietet Frauen die Chance, ihr geschlechtliches Selbst neu zu entdecken und den Blick für ihren Körper und ihre Bedürfnisse zu öffnen. Und Männer werden zu einem bedachtsameren Umgang mit der "Lusthöhle" angeleitet. So wendet sich das Buch, wie Wolf schreibt, an "alle, denen die Vagina am Herzen liegt".
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