Ein bunter Strauß Paradoxa
Julian Havil, der 30 Jahre lang als Mathematikdozent am renommierten Winchester College in England lehrte, hat im deutschen Sprachraum 2007 mit seinem Erstlingswerk "Gamma. Eulers Konstante, Primzahlstrände und die Riemannsche Vermutung" einen großen Erfolg erzielt. Ein ebensolcher ist auch seinen beiden neuen Büchern zu wünschen.
Wieder versteht es Havil, seine Leser durch eine eindrucksvolle Auswahl von interessanten Problemen in den Bann zu ziehen. Jedes von ihnen hat einen besonderen Überraschungseffekt und wird ausführlich dargestellt; meist findet der nimmersatte Leser auch Hinweise auf weiterführende Literatur.
Der einschlägig vorinformierte Leser wird eine Reihe von alten Bekannten wiedertreffen, darunter das notorische Ziegenproblem (wie kann es sein, dass der Kandidat in der Rateshow durch Revision seiner Entscheidung seine Gewinnchancen erhöht?), die nichttransitiven Würfel (Spektrum der Wissenschaft 10/1998, S. 9), das Sekretärinnenproblem (welcher Kandidatin soll man zusagen, wenn man sich jedes Mal sofort entscheiden muss? Spektrum der Wissenschaft 5/2004, S. 102), Buffons Experiment mit der Nadel, die man viele Male zufallsbestimmt auf den Dielenboden fallen lässt, um den Wert von p zu bestimmen, und etliche mehr. Den einen oder anderen Gedanken und Beweis habe ich aus "Gamma" wiedererkannt, aber das schadet nicht. Die gesamte Mischung ist so bunt und gut vernetzt, dass sich die drei Bücher vorteilhaft ergänzen.
Auf die Vorstellung eines paradox erscheinenden Phänomens folgen zunächst Plausibilitätsbetrachtungen und dann die nicht immer trivialen und gegen Ende jedes Buchs zunehmend umfangreicheren Beweise. Da darf sich der Leser nicht durch mehrseitige Umformungen oder Abschätzungen abschrecken lassen.
In den meisten Fällen genügen solide Kenntnisse aus der Oberstufenmathematik, um den Gedankengängen folgen zu können. Allerdings geht Havil in so großen Schritten vor, dass dem Leser noch allerlei an eigenem Denken überlassen bleibt. An manchen Beweisen hätte ein Mathematikstudent oder gar ein ausgebildeter Mathematiker zu knacken. Havil ist nichts für den kleinen Lesehunger zwischendurch!
Beide Bücher geben auch Anregungen für die Schule, wo viele der verblüffenden Phänomene zumindest qualitativ angesprochen werden können; einige könnten als Anregungen für Facharbeiten dienen.
Jedes Kapitel beginnt mit einem geistreichen Zitat und mit einem geometrischen Muster, dessen Bedeutung sich erst in der Zusammenschau erschließt; die Erklärung folgt in einem eigenen Kapitel am Ende jedes der beiden Bücher. Außerdem finden sich dort besondere Abschnitte, in denen allgemeine mathematische Prinzipien erläutert werden, von der vollständigen Induktion über die Reihenentwicklung von Exponential- und trigonometrischen Funktionen bis zu dem immer wieder verwendeten Schubfachprinzip: Packt man n + 1 Gegenstände in n Schubfächer, so müssen in mindestens einem Fach zwei oder mehr Gegenstände stecken.
Neben den oben angesprochenen alten Bekannten finden sich zahlreiche gleichermaßen interessante und (titelgerecht) verblüffende Phänomene. Wer die Antworten auf folgende Fragen nicht selbst findet, hat Anlass, die beiden Bücher zu studieren:
- Zwei Personen sind in einem Raum und tragen einen Hut, auf dem eine natürliche Zahl steht. Beide können nur die Nummer auf dem Hut des Spielpartners erkennen und wissen, dass die beiden Nummern benachbart sind. Wie können sie die Nummer des eigenen Huts erschließen? Wie können drei Personen erschließen, welche Nummern auf ihren Hüten stehen, wenn sie wissen, dass die eine Zahl die Summe der beiden anderen ist?
- Wieso fällt der 13. eines Monats häufiger auf einen Freitag als auf irgendeinen anderen Wochentag? Und für sparsame Menschen: Nach wie vielen Jahren wiederholt sich der Jahresablauf so, dass man einen Kalender erneut verwenden kann?
- Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass der nächste vorbeifahrende Aufzug in einem Hochhaus in die Richtung fährt, in die Sie fahren wollen?
- Warum ist die Gewinnwahrscheinlichkeit für den führenden Spieler bei einem Tennisspiel zwischen zwei gleich starken Gegnern beim Stand 40 : 30 größer als beim Stand 15 : 0?
- Warum ist es günstig, darauf zu wetten, dass beim 200-fachen Münzwurf achtmal hintereinander Kopf oder achtmal hintereinander Zahl vorkommt?
- Warum ist in einem n-dimensionalen Hyperwürfel der größte Teil des Volumens in der Nähe seiner Ecken konzentriert?
- Wieso rechnen manche Taschenrechner die Potenz ii falsch aus?
- Wie lässt sich das Geburtstagsparadoxon in der Kryptografie nutzen?
- Welches ist die kleinste Fläche, innerhalb deren man eine Nadel um 180 Grad drehen kann?
- Gibt es ein Abzählverfahren für die rationalen Zahlen, bei dem im Unterschied zum cantorschen Diagonalverfahren jede Zahl genau einmal erfasst wird?
Schließlich beschäftigt sich ein Abschnitt auch mit dem cantorschen Paradoxon der Mengenlehre, dass es unendliche Zahlenmengen verschiedenen Typs gibt ("Ich sehe es, aber ich glaube es nicht"). Der Autor ergänzt dies durch ein Abzählverfahren für die rationalen Zahlen, bei dem im Unterschied zum geläufigen cantorschen Diagonalverfahren jede Zahl genau einmal erfasst wird.
Es fällt schwer, einem der beiden Bücher den Vorzug zu geben. Havil selbst bezeichnet "Das gibt’s doch nicht!" als das Nachholen dessen, was er in "Verblüfft?!" ausgelassen hat. Beide kann ich uneingeschränkt empfehlen.
Wieder versteht es Havil, seine Leser durch eine eindrucksvolle Auswahl von interessanten Problemen in den Bann zu ziehen. Jedes von ihnen hat einen besonderen Überraschungseffekt und wird ausführlich dargestellt; meist findet der nimmersatte Leser auch Hinweise auf weiterführende Literatur.
Der einschlägig vorinformierte Leser wird eine Reihe von alten Bekannten wiedertreffen, darunter das notorische Ziegenproblem (wie kann es sein, dass der Kandidat in der Rateshow durch Revision seiner Entscheidung seine Gewinnchancen erhöht?), die nichttransitiven Würfel (Spektrum der Wissenschaft 10/1998, S. 9), das Sekretärinnenproblem (welcher Kandidatin soll man zusagen, wenn man sich jedes Mal sofort entscheiden muss? Spektrum der Wissenschaft 5/2004, S. 102), Buffons Experiment mit der Nadel, die man viele Male zufallsbestimmt auf den Dielenboden fallen lässt, um den Wert von p zu bestimmen, und etliche mehr. Den einen oder anderen Gedanken und Beweis habe ich aus "Gamma" wiedererkannt, aber das schadet nicht. Die gesamte Mischung ist so bunt und gut vernetzt, dass sich die drei Bücher vorteilhaft ergänzen.
Auf die Vorstellung eines paradox erscheinenden Phänomens folgen zunächst Plausibilitätsbetrachtungen und dann die nicht immer trivialen und gegen Ende jedes Buchs zunehmend umfangreicheren Beweise. Da darf sich der Leser nicht durch mehrseitige Umformungen oder Abschätzungen abschrecken lassen.
In den meisten Fällen genügen solide Kenntnisse aus der Oberstufenmathematik, um den Gedankengängen folgen zu können. Allerdings geht Havil in so großen Schritten vor, dass dem Leser noch allerlei an eigenem Denken überlassen bleibt. An manchen Beweisen hätte ein Mathematikstudent oder gar ein ausgebildeter Mathematiker zu knacken. Havil ist nichts für den kleinen Lesehunger zwischendurch!
Beide Bücher geben auch Anregungen für die Schule, wo viele der verblüffenden Phänomene zumindest qualitativ angesprochen werden können; einige könnten als Anregungen für Facharbeiten dienen.
Jedes Kapitel beginnt mit einem geistreichen Zitat und mit einem geometrischen Muster, dessen Bedeutung sich erst in der Zusammenschau erschließt; die Erklärung folgt in einem eigenen Kapitel am Ende jedes der beiden Bücher. Außerdem finden sich dort besondere Abschnitte, in denen allgemeine mathematische Prinzipien erläutert werden, von der vollständigen Induktion über die Reihenentwicklung von Exponential- und trigonometrischen Funktionen bis zu dem immer wieder verwendeten Schubfachprinzip: Packt man n + 1 Gegenstände in n Schubfächer, so müssen in mindestens einem Fach zwei oder mehr Gegenstände stecken.
Neben den oben angesprochenen alten Bekannten finden sich zahlreiche gleichermaßen interessante und (titelgerecht) verblüffende Phänomene. Wer die Antworten auf folgende Fragen nicht selbst findet, hat Anlass, die beiden Bücher zu studieren:
- Zwei Personen sind in einem Raum und tragen einen Hut, auf dem eine natürliche Zahl steht. Beide können nur die Nummer auf dem Hut des Spielpartners erkennen und wissen, dass die beiden Nummern benachbart sind. Wie können sie die Nummer des eigenen Huts erschließen? Wie können drei Personen erschließen, welche Nummern auf ihren Hüten stehen, wenn sie wissen, dass die eine Zahl die Summe der beiden anderen ist?
- Wieso fällt der 13. eines Monats häufiger auf einen Freitag als auf irgendeinen anderen Wochentag? Und für sparsame Menschen: Nach wie vielen Jahren wiederholt sich der Jahresablauf so, dass man einen Kalender erneut verwenden kann?
- Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass der nächste vorbeifahrende Aufzug in einem Hochhaus in die Richtung fährt, in die Sie fahren wollen?
- Warum ist die Gewinnwahrscheinlichkeit für den führenden Spieler bei einem Tennisspiel zwischen zwei gleich starken Gegnern beim Stand 40 : 30 größer als beim Stand 15 : 0?
- Warum ist es günstig, darauf zu wetten, dass beim 200-fachen Münzwurf achtmal hintereinander Kopf oder achtmal hintereinander Zahl vorkommt?
- Warum ist in einem n-dimensionalen Hyperwürfel der größte Teil des Volumens in der Nähe seiner Ecken konzentriert?
- Wieso rechnen manche Taschenrechner die Potenz ii falsch aus?
- Wie lässt sich das Geburtstagsparadoxon in der Kryptografie nutzen?
- Welches ist die kleinste Fläche, innerhalb deren man eine Nadel um 180 Grad drehen kann?
- Gibt es ein Abzählverfahren für die rationalen Zahlen, bei dem im Unterschied zum cantorschen Diagonalverfahren jede Zahl genau einmal erfasst wird?
Schließlich beschäftigt sich ein Abschnitt auch mit dem cantorschen Paradoxon der Mengenlehre, dass es unendliche Zahlenmengen verschiedenen Typs gibt ("Ich sehe es, aber ich glaube es nicht"). Der Autor ergänzt dies durch ein Abzählverfahren für die rationalen Zahlen, bei dem im Unterschied zum geläufigen cantorschen Diagonalverfahren jede Zahl genau einmal erfasst wird.
Es fällt schwer, einem der beiden Bücher den Vorzug zu geben. Havil selbst bezeichnet "Das gibt’s doch nicht!" als das Nachholen dessen, was er in "Verblüfft?!" ausgelassen hat. Beide kann ich uneingeschränkt empfehlen.
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben