Keynes für Anfänger
Das kann doch eigentlich nicht wahr sein! Paul Krugman ist ein überaus origineller Mensch, Träger des Wirtschaftsnobelpreises (Spektrum der Wissenschaft 12/2008, S. 18) und wichtiger politischer Kolumnist in den USA, bekannt dafür, gern querzudenken und dicht an der Aktualität zu arbeiten. Und der hat in einem ganzen Buch zu einem höchst aktuellen Thema nicht mehr zu sagen als den einen Satz, der schon auf dem Umschlag steht? Doch, es ist wahr. Wer eine fundierte oder zumindest eine interessante Meinung zur aktuellen europäischen Staatsschuldenkrise erwartet, wird aus zwei Gründen enttäuscht: Krugman bezieht sich fast ausschließlich auf die aktuelle Wachstums schwäche in den USA und nur ganz am Rande auf die Krise in der Europäischen Währungsunion; vor allem aber sind die Kerninhalte alles andere als neu.
Der Autor verficht die These von John Maynard Keynes (1883 – 1946), dass in Situationen wie der gegenwärtigen in den Vereinigten Staaten eine entschiedene Steigerung der Staatsausgaben geboten ist. Die Idee ist allgemein bekannt und im Prinzip so simpel, wie sie klingt: Wenn, wie momentan, die eigene Konjunktur lahmt und auch die internationale Wirtschaft nicht so brummt, dass sie reichlich inländische Produkte abnimmt, soll der Staat als Nachfrager einspringen und schuldenfinanziert die Konjunktur ankurbeln. Nach der keynesianischen Theorie wird mit dieser Initialzündung die Sache zum Selbstläufer: Es entstehen Arbeitsplätze, und die Steuereinnahmen steigen, so dass der Staat seine Schulden nach kurzer Zeit wieder zurückzahlen könnte (wenn er wollte; aber ob er sollte, das gehört nicht so zwingend zur Theorie). Wenn er dabei sogar sinnvolle Güter und Dienstleistungen nachfragt, etwa Investitionen in Infrastruktur oder Bildung, lohnt sich das Ganze doppelt, weil das die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft erhöht und dadurch zusätzlicher Wohlstand entsteht. Schlägt das Experiment fehl und der Konjunkturmotor springt nicht richtig an, war der Impuls wohl nicht stark genug. Genau so hat Keynes es dargestellt, so steht es in den Lehrbüchern und war schon zigmal in den Zeitungen zu lesen. Und genau dieser Argumentation folgt Krugman in dem Buch.
Der Gedanke ist in bestimmten wirtschaftlichen Konstellationen – wie in der weltweiten Rezession 2008/09 – genau richtig und sollte auch meiner Meinung nach häufiger erwogen und umgesetzt werden. Allerdings gibt es Situationen, in denen keynesianische Ausgabenpolitik völlig verkehrt oder gar unmöglich ist. Krugman deutet selbst ein Beispiel an, nämlich Griechenland, das zur Zeit gar keine Schulden mehr aufnehmen kann, weil diesem Staat niemand mehr zu vernünftigen Zinsen Geld leiht. Auch in Krugmans Denken gibt es also Grenzen einer keynesianischen Ausgabenpolitik. Es wäre interessant gewesen, diese Grenzen näher beschrieben zu bekommen, aber das leistet das Buch nicht.
Krugman vereinfacht die Dinge so weit, dass es langweilig wird – schlimm genug; aber manchmal kommen dabei sogar Aussagen heraus, die er hoffentlich nicht so gemeint hat. So kann man einige Passagen des Buchs als Aufforderung verstehen, den Folgen der übermäßigen Kreditvergabe in den Jahren bis 2008 und der daraus entstandenen Immobilienblase wiederum mit kreditfinanzierten Staatsausgaben zu begegnen – nach dem Motto „Der Aufschwung in der Blasenökonomie war doch so schön, lasst uns eine neue aufpusten“. Den Einwand, dass es nicht langfristig gut gehen kann, einfach immer noch mehr Staatskredite aufzunehmen, wischt er mit dem Hinweis vom Tisch, das sei nur eine Moralfabel von verhärmten Spaßbremsen, die zur Selbstkasteiung neigen, wenn es ihnen mal gut gegangen ist. Als Prototyp nennt er hier mehrfach Wolfgang Schäuble. Die Beispiele Griechenland und Spanien zeigen jedoch sehr deutlich, dass man ein bisschen differenzierter an die Sache herangehen sollte.
Um diese Theorie und den Appell zum Geldausgeben herum erzählt Krugman vor allem, wie es zu der Rezession in den Vereinigten Staaten kam: eine Mischung von amerikanischer Geschichtsschreibung und Generalabrechnung mit den wirtschaftlichen Autoritäten, die bisweilen hart an Verschwörungstheorien grenzt. Dennoch finden sich hier die interessantesten Passagen. Krugman macht vor allem die fortschreitende Deregulierung des US-amerikanischen Bankensystems für die Hauspreisblase und den damit verbundenen Zusammenbruch der Lehman- Bank verantwortlich. Die Lockerung der Regeln eröffnete nämlich neue Geschäftsmöglichkeiten, welche die „Renditeerwartungen“ – man könnte sie auch einfach als „Gier“ bezeichnen – von Bankern und Anlegern anfachten. Da höhere Rendite aber immer mit höherem Risiko verbunden ist, wurde das Bankgeschäft weltweit immer mehr zum Tanz auf dem Vulkan. Auch wenn es vielleicht noch weitere Ursachen für die weltweite Rezession 2008/09 gibt: So auf den Punkt gebracht liest man die Mitschuld der Politik und der Lobbyarbeit von Deregulierungsbefürwortern selten. Hier legt Krugman den Finger in eine ziemlich hässliche Wunde.
Und wie liest sich der „Weckruf des Wirtschaftsnobelpreisträgers“, wie das Buch auf der Titelseite angepriesen wird? Der Stil ist irritierend. Krugman spricht völlig ironiefrei über die „Vertreter der richtigen Lösung“, die von den „Vertretern der falschen Lösungen“ bekämpft wurden. So einfach ist für ihn die Aufteilung der Menschheit. Auch Weltbank und Internationaler Währungsfonds, die Notenbanken und die allermeisten Professoren-Kollegen sind nach Ansicht von Krugman zu dumm oder korrumpiert, um die Zusammenhänge zu sehen. Leider hat der Autor offenbar auch von seinen Lesern keine sehr hohe Meinung. Jedenfalls glaubt er, alles im Ton der „Sendung mit der Maus“ erklären zu müssen, und wiederholt seine Kernaussagen ständig.
Vielleicht sollte man in dem Buch nicht eine rationale und fundierte Argumentation suchen, sondern es einfach als politisches Plädoyer verstehen. Als Rede eines Politikers, der etwas geschwätzig für die Erhöhung der Staatsausgaben wirbt, ist es gar nicht so schlecht. Polemik, scharfe Schüsse gegen die Gegner, nette Anekdoten, bunte Metaphern, all das wird geboten, nicht aber eine ernst gemeinte, differenzierte Analyse oder gar eine halbwegs wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Für und Wider der Theorie.
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