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Vom Liebesleben der Schnecken

Das Beobachten von Pflanzen und Tieren ist völlig aus der Mode gekommen. Man befriedigt sein Interesse an der Natur vorrangig über Fernsehen und Internet. Der klassische Obst- und Gemüsegarten für den Selbstversorger ist weit gehend verschwunden und fällt daher als Beobachtungsgelegenheit aus. Entsprechend dürftig ist der allgemeine Kenntnisstand. Selbst Biologielehrer pflegen bei der Frage "Welcher Käfer ist das?" in große Verlegenheit zu geraten.

Aber neuerdings kommt der "Naturgarten" in Mode und damit der Wunsch zu wissen, was für Tiere einem im eigenen Garten begegnen; aber was tun? Vor einem Bestimmungsbuch scheut der Hobbygärtner zurück, weil er mit dessen Herangehensweise nicht vertraut genug ist. Da kommt das vorliegende Buch gerade recht. Der kindgerechten Zeichnung auf dem Titel zum Trotz handelt es sich nicht um ein Kinderbuch, sondern um Lesestoff für die ganze Familie. Werner David, der nach mancherlei beruflichen Irrwegen wieder zu seiner Jugendliebe "für alles, was da kreucht und fleucht" zurückgefunden hat, verpackt die gut begründeten biologischen Fakten in einer lockeren populärwissenschaftlichen Darstellung, mit Humor und einem Augenzwinkern. Wo das Faktenwissen nicht in den laufenden Text passen will, versucht er es mittels Fußnoten doch noch an den Mann zu bringen. Das ist aller Ehren wert; aber das viele Blättern nach den Fußnoten ist fast so mühsam wie die Hauptquelle des Autors direkt zu Rate zu ziehen: die Wikipedia.

Einladend und Neugier weckend sind schon die Kapitelüberschriften wie "Ritter der Finsternis – die Assel", "Held der Unterwelt – der Maulwurf", "Sumoringer der Lüfte – die Hummel" und "Radschlagen im Dienste Amors – die Libelle". In insgesamt 20 Porträts erfährt der Leser, auch der biologisch gebildete, viel Neues über bekannte und weniger bekannte Tiere und Pflanzen, auch in ihrem biologischem Zusammenspiel.

Dass die – zwittrigen – Schnirkelschnecken einander bei der Paarung einen Kalkstachel, den "Liebespfeil", ins Fleisch treiben, hat sich allmählich herumgesprochen. Aber der Autor klärt uns darüber hinaus auf, dass der Akt bis zu 24 Stunden dauert, und weiß auch die neuesten Erklärungen für die Sache mit dem Liebespfeil zu referieren: Bei dem – artentsprechend in Zeitlupe ablaufenden – Gewaltakt kommt es nicht auf den Kalk an, sondern auf den mitübertragenen Schleim und die darin enthaltenen Hormone, mit denen der männliche Partner seinen Spermien einen Vorteil verschafft. Das ist Sicheinschleimen im Wortsinn!

Der Naturgarten erhält plötzlich ein besonderes Gesicht. Man schaut genauer hin und entdeckt die Vielfalt und Schönheit der Welt im Kleinen. Die Freude am eigenen Garten wird größer, wenn man mehr darüber weiß. Und der eine und andere wird, angeregt durch das Buch, seinen Garten verändern, einen Teich anlegen, ein Buch zur Hand nehmen, mit dem er seine Artkenntnis vermehren kann, und hoffentlich für mehr Akzeptanz für die beschriebenen Mitbewohner in unseren Gärten sorgen.

Dosiert auf kapitelweises Lesen verkraftet man das mitunter schulisch Belehrende so heiter, wie es gedacht ist. Über einige kleinere Sprachungenauigkeiten kann man leicht hinwegsehen: "Vor allem ausgehungerte Larven … vertilgen … Kleinlibellenarten", wo doch allenfalls Kleinlibellen die hungrige Larve satt machen. Das Wort "minimal" kann man nicht steigern, und Ausrufe wie "wow" passen nicht zum Sprachgebrauch der – im Durchschnitt etwas älteren – Zielgruppe.

Hier erwartet einen in der Tat "ein Lesevergnügen der besonderen Art" (Rückseite des Buchs). Es ist eine Liebeserklärung an die uns meist verborgen bleibende "kleine" Welt und natürlich ein Plädoyer für mehr natürliche Gestaltung im Garten. Schaffen wir uns bereits vor der eigenen Haustür ein Refugium der Natur. Dies kommt nicht nur den darin lebenden Arten zugute, sondern auch uns selbst. Lernen wir wieder, was wir seit Kinderzeiten so sträflich vernachlässigt haben: Beobachten. In diesem Sinn sei dem Buch eine gute Aufnahme bei den Natur- und Gartenfreunden, bei Groß und Klein, bei Jung und Alt zu wünschen.
  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 9/2010

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