Erbe des Elternhauses
Den Ballast aus der Kindheit abwerfen und frei werden für die Liebe – das ist die Aufgabe, der sich Sabine und Roland Bösel in ihrem Buch widmen. Die Eheleute stellen sich seit drei Jahrzehnten den Hochs und Tiefs ihrer Beziehung und führen seit zwanzig Jahren eine gemeinschaftliche Psychotherapiepraxis mit dem Fokus auf Paartherapie.
Jedes Buchkapitel beginnt mit einer persönlichen Geschichte aus dem Böselschen Eheleben. Autorin und Autor analysieren, wie sie mit ihren Beziehungsproblemen umgehen und welche Handlungsmotive dahinter stecken – und kommen stets auf die Kindheit. Sie vertreten die Ansicht, nur zehn Prozent der Komplikationen seien ursächlich dem Partner zuzuschreiben. Dieser löse mit seinem Verhalten vielmehr Erinnerungen an frühere Erlebnisse aus, deren Nachwirkungen dann eigentlich verantwortlich für die Beziehungsprobleme sind ("90-10-Regel").
Zur Bekräftigung dieser sehr konkreten These präsentieren die Autoren Fallbeispiele aus ihrer Praxis. Sie erzählen beispielsweise von einem Mann namens Konradin, der seine Frau betrog und damit gewissermaßen das Verhalten seines Vaters kopiert habe, den Konradins Mutter einer Affäre bezichtigte. An anderer Stelle schreiben sie über den Patienten Karl, der vor seiner hitzköpfigen Freundin Anita zurückschreckte – und zwar, so meinen die beiden Psychotherapeuten, weil Anita in ihm die Angst vor seiner temperamentvollen Mutter erweckte.
Obgleich die Geschichten lebensnah erscheinen, bedienen sie ein wenig zu oft das Bild der aufbrausenden, schimpfenden Frau und des verdrängenden, wortkargen Mannes. Auch wirkt es konstruiert, wenn die Autoren daraus immer wieder ein "emotionales Erbe" ableiten, das wir vorgeblich aus unserer Kindheit ins erwachsene Beziehungsleben mitnehmen. Damit meinen sie, dass wir zahlreiche Verhaltensmuster unserer Eltern – sowohl im Umgang untereinander als auch mit uns selbst – übernommen haben.
Die Stärke des Buchs liegt in seiner empathischen Erzählweise. Sabine und Roland Bösel bringen bei Beziehungsproblemen beiden Seiten gegenüber Verständnis auf, denn jeder Partner, so schreiben sie, trage zum Konflikt bei. Sich in schwierigen Situationen in den anderen hineinzuversetzen, sei nicht leicht. Abhilfe kann möglicherweise die Methode des "Theaterblicks" schaffen, die die Autoren vorstellen. Dieser Ansatz soll es den Partnern ermöglichen, ihre Differenzen aus der Perspektive eines außenstehenden Zuschauers zu betrachten.
In einigen Kapiteln stellen die Psychotherapeuten dem Leser Fragen, um Erinnerungen an das Elternhaus wachzurufen, verdrängten Schuldgefühlen auf den Zahn zu fühlen und das eigene Beziehungsleben zu durchleuchten. Sie empfehlen, besonders tief schürfende Fragen von einer Vertrauensperson stellen zu lassen. Dieses In-Sich-Gehen ist sicher hilfreich, jedoch kann das Buch keine Therapie ersetzen.
Als Ratgeber eignet sich das Werk nur bedingt. Statt konkrete Handlungsanweisungen zu geben, inspiriert der beschreibende Charakter eher dazu, über das eigene Verhalten nachzudenken. Zumal die Tipps der Autoren – etwa, gemeinsam zu kochen, um mehr Zeit miteinander zu verbringen – oft wenig überraschend und sehr allgemein gehalten sind.
Wer Gefallen an unterhaltsamen Fallbeispielen findet und bildhafte Sprache mag, wird dem Buch dennoch viel Interessantes abgewinnen können. Allerdings schießen die Metaphern mitunter übers Ziel hinaus – etwa, wenn die Rede vom "Beziehungsrucksack" oder vom "Gefühlsmuskel" ist.
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