Panorama der Gedanken
Es ist eigentlich ganz sympathisch, was Gert Scobel da macht. Einem etwas unstrukturierten Einstieg folgt weder eine Geschichte der Philosophie noch eine klassische Einführung ins Thema, sondern – nun ja, Denkfragmente: Zitate, Einblicke, Selbstversuche und abschnittsweise intensive Auseinandersetzungen mit einzelnen Bausteinen der Philosophie.
Oft ist Philosophieren in erster Linie ein Kampf um Definitionen, klare Begriffe sind eine entscheidende Grundlage. Scobel macht einen entspannten Schritt zurück. Dadurch, dass er bei einigen Begriffen nicht seitenweise um eine Definition ringt, sondern sich an der Alltagssprache orientiert, kann er Erkenntnisse aus mehreren Bereichen zusammenfassen und bleibt dabei gut verständlich. Scobels persönliche Art zu schreiben vermittelt die Faszination, die entsteht, wenn sich einfach wirkende alltägliche Sachverhalte bei genauerem Hinsehen als komplexe philosophische Herausforderungen offenbaren – wenn vermeintliche Sicherheiten also dem Zweifel weichen.
Ein erstes Highlight ist die Zusammenführung der Thesen des Philosophen Immanuel Kants (1724-1804) und des Neurowissenschaftlers António Damásio (*1944) beim Begriff "Ich". Dadurch, dass Scobel nicht zu sehr ins Detail geht, gelingt es ihm auf elegante Weise, Vorstellungen aus der Neurowissenschaft und der Philosophie zu verbinden – so, dass man als Leser tatsächlich das Gefühl hat, etwas über dieses Thema gelernt zu haben.
Obwohl sich Scobel viele Freiheiten nimmt, gelingt es ihm, nicht in Beliebigkeit abzudriften. Puristen werden seine Definitionen von "Emotion" oder "Gefühl" zwar als unzureichend empfinden, tatsächlich aber erweitern seine Beschreibungen das grundlegende Verständnis dieser Begriffe, ohne sich auf akademische Diskussionen einzulassen – die ja sowieso in erster Linie Sache der Spezialisten sind und nicht die der Leser eines populärwissenschaftlichen Buchs.
Der Autor bemüht sich sehr um Verständlichkeit. Als Moderator mehrerer Fernsehsendungen weiß der 1959 geborene Philosoph und Theologe, dass dies der entscheidende Punkt bei der Wissensvermittlung ist. Leider ist ihm oft sein Schreibstil im Weg. Er packt Anmerkungen, Ergänzungen, Verweise und Bewertungen in Klammerausdrücke, quetscht sie in Nebensätze und baut Gliedsatzmonster. All dies torpediert seine Bemühungen um Lesbarkeit.
Die Stärke des Buches ist eindeutig, dass für jeden Hobby- und Profidenker Abschnitte dabei sind, die zu intensiver Auseinandersetzung einladen, also im besten Sinne zum Nachdenken anregen. So erfahren wir etwa, warum Denken gefährlich ist: Weil es ein für andere unkontrollierbares Rückzugsgebiet darstellt. "... der Geist kann, wenn man ihn schult und diszipliniert, zum Bollwerk werden, zur letzten Zuflucht gegen die Macht anderer." Und als historisches Beispiel hierfür: "Mit der sokratischen Methode ließen sich feste Begriffe und Gewohnheiten verflüssigen. Das Denken war in der Lage, sie aufzulösen – und befähigte damit auch jüngere Menschen, die festen Grundlagen der Stadtgesellschaft, die Maßstäbe von Gut und Böse, aber auch von Wahrheit, in Frage zu stellen oder sogar außer Kraft zu setzen. Der Zugwind eines solchen Denkens ist subversiv und gefährlich."
Eine Herausforderung im positiven Sinne ist jener Abschnitt, in dem der Autor sich mit Hilfe von Ludwig Wittgenstein (1889-1951) an René Descartes’ (1596-1650) Dictum "Ich denke, also bin ich" abarbeitet. Hier wird man als Leser dazu eingeladen, fundamentale Gedankengänge der Philosophie selbst zu vollziehen und dabei das eigene Denken ebenso wie persönliche Empfindungen zu hinterfragen.
Scobel hat sichtlich Freude am Denken, und genau die möchte er auch beim Leser wecken. Der komplizierte Schreibstil weckt allerdings Zweifel daran, ob das in jedem Fall gelingt. Wer nicht ohnehin an philosophischen Themen interessiert ist, wird wohl nur wenig Antrieb verspüren, sich das Werk anzuschaffen, außer ihn lockt die Bekanntheit des Autors. Zudem wirkt das Buch oft so, als hätte Scobel seinen Gedanken freien Lauf gelassen. Das mag zum Thema passen, doch ob es einen roten Faden ersetzt, erscheint fraglich.
Am Ende ist das Werk unbefriedigend und befriedigend zugleich, denn einerseits gibt es keine klare Antwort auf die Frage, warum wir philosophieren müssen – andererseits erklärt es immerhin, warum keine einfache Antwort möglich ist.
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