100 Jahre Wernher von Braun
Der Name Wernher von Braun löst in unserer heutigen Zeit zwiespältige Empfindungen aus. Einerseits ist man beeindruckt von seinem technischen Genie und grandiosen Organisationstalent, andererseits lässt sich auch seine Verstrickung in die üblen Geschehnisse in der Nazizeit nicht übersehen, in der er die erste Großrakete der Menschheitsgeschichte entwickelte. Die Bücher aus den 1960er Jahren über den Raketenforscher klammerten diesen Aspekt seiner Persönlichkeit weit gehend aus und ähnelten eher einer unkritischen Heldenverehrung.
Dagegen erschienen gegen Ende des 20. Jahrhunderts überaus kritische Bücher, in denen von Braun in die Nähe von NS-Verbrechern gerückt wurde. Ulli Kulke wählt in seinem Buch "Weltraumstürmer", das zum 100. Geburtstag von Wernher von Braun erschien, einen Mittelweg. Der Autor berichtet durchaus fair über die Leistungen von Brauns, verschweigt aber auch nicht, dass dieser zur Verwirklichung seiner Raumflugideen schließlich einen "Pakt mit dem Teufel" einging.
Das Buch beschreibt in 14 Kapiteln das Leben und Werk des Raketenforschers und beginnt mit einem überraschenden Einstieg: Einer Vorblende zum Start des ersten Erdsatelliten Sputnik 1 und seinen weltweiten politischen Folgen. Erst danach beginnt der Autor mit der chronologischen Schilderung des Lebens des Wernher von Braun. Die Texte sind gut verständlich geschrieben und nett zu lesen, jedoch gleitet der Stil des Autors gelegentlich zu sehr ins Flapsige ab. Allerdings bietet das Werk auch so manche lustige Anekdote, etwa, dass der junge Wernher von Braun mit seinem durch Feuerwerk angetriebenen Bollerwagen mit hoher Geschwindigkeit durch eine Straße in Berlin rast und dabei prompt einen Unfall hat.
Auffallend ist in diesem Buch die starke Gewichtung der russisch-sowjetischen Raumfahrt mit einem Kenntnisstand über die dortigen Ereignisse und Abläufe, die Wernher von Braun definitiv nicht wissen konnte und selbst westlichen Geheimdiensten zu dieser Zeit unbekannt waren. An Stelle einer Schilderung der Probleme von Alexei Leonow bei seinem Weltraumausstieg mit Woschod 2 im Jahr 1965, die erst Jahrzehnte später im Westen bekannt wurden, hätte sich der Autor mehr auf seinen Protagonisten Wernher von Braun und dessen Reaktionen auf die zeitgenössischen Sensationsmeldungen aus der UdSSR konzentrieren sollen, unter deren Eindruck dieser handelte und agierte. Dass heute mehr über die Hintergründe der russischen Raumfahrt bekannt ist, wäre eigentlich Thema eines anderen Buchs.
Ulli Kulke beschreibt von Brauns Leben bis kurz nach dem Ende des Apollo-Programms im Jahr 1972. Leider werden die letzten fünf Jahre im Leben des Raketeningenieurs bis zu seinem Tod 1977 nur sehr stichwortartig beschrieben, hier hätte man sich einfach mehr gewünscht. In dieses Buch schlichen sich auch sachliche Fehler ein, so befindet sich zum Beispiel die nach 38 Jahren vom Meeresgrund geborgene Mercury-Raumkapsel Liberty Bell 7 nicht im Smithsonian Museum in Washington (D.C.), sondern im Kansas Cosmosphere and Space Center.
Durchgängig im Buch verwendet der Autor für die russischen Luna-Mondsonden die Bezeichnung "Lunik", obwohl dies ein in den frühen 1960er Jahren nur im Westen gebräuchliches Kunstwort aus "Luna" und "Sputnik" war. Eher ein Fremdkörper ist das Interview mit Buzz Aldrin im Anhang, wo der Astronaut von Apollo 11 sichtlich genervt auf die teilweise albernen Fragen des Autors antwortet. Doch trotz dieser kleinen Mängel kann ich "Weltraumstürmer" für einen ersten Einstieg ins Thema empfehlen.
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