Eingesperrte Flüsse
Wie viel Wasser am Tag verbraucht der Durchschnittsdeutsche? Fünf Liter für Essen und Trinken? Oder 150 Liter inklusive Waschen und Toilette? Weit gefehlt: Jeden Tag nimmt ein normaler Bundesbürger tatsächlich mehrere tausend Liter der kostbaren Flüssigkeit in Anspruch, und das, ohne einen Swimmingpool sein Eigen zu nennen oder jeden Morgen sein Auto blitzblank zu putzen.
In seinem neuen Buch "Wenn die Flüsse versiegen" erklärt der mehrfach preisgekrönte britische Umweltjournalist Fred Pearce, wie er zu dieser beeindruckenden Zahl kommt: Für alles, was wir konsumieren, wird weit mehr Wasser in der Produktion aufgewendet, als im fertigen Produkt enthalten ist. Um ein Kilo Reis ernten zu können, müssen die Bauern bis zu 5000 Liter Wasser auf das Feld bringen. Ein Liter Milch schlägt mit 4000 Litern Wasser zu Buche, ein Kilo Camembert oder ein kleines Rindersteak mit 5000. Eine Tasse Kaffee mit Zucker entspricht 150 Litern Wasser, ein Baumwollhemd ganzen 25 Badewannen voll.
Diese gewaltigen Fluten entziehen sich dem Blick des Käufers, sodass sich Ökonomen mit dem abstrakten Begriff "virtuelles Wasser" behelfen. Aber seinem Namen zum Trotz ist dieses Wasser real, und sein Verbrauch könnte für die Menschheit noch gefährlicher werden als der Klimawandel. Denn mit Produkten wie Baumwolle, Kaffee oder Rindern exportieren viele Staaten weitaus mehr davon, als Niederschläge oder Flüsse ihnen nachliefern.
Die Folge: Weltweit sinken die Grundwasserpegel und trocknen ganze Ströme, Seen und Sümpfe aus. Mit gigantischem Aufwand und häufig ohne Rücksicht auf ökologische oder soziale Risiken werden neue Staumauern errichtet, um das kostbare Nass auf seinem Weg aufzuhalten, zu speichern und seiner – bisweilen fragwürdigen – Bestimmung zuzuführen.
Pearce reist diesen eingedämmten Flüssen seit Jahren nach, und er kann nur wenig Positives von Indus, Jangtse, Colorado, Niger und Themse berichten. Hydrologische Krisengebiete finden sich in Zentralasien und Südeuropa ebenso wie im Westen der Vereinigten Staaten, wo eine stets durstige Landwirtschaft immense Mengen H2O verschwendet, um in wüstenhaften Regionen wasserintensive Kulturen wie Tomaten oder Baumwolle zu ziehen. Und sie liegen in Mittel- und Osteuropa, wo Deiche die Flüsse einengen und diese sich mit Überflutungen kostenintensiv revanchieren.
Afrika bleibt vom Wassernotstand ebenso wenig verschont wie Asien, da hier wie dort gut gemeinter Ingenieurswille die Natur nur kurzzeitig unterwirft, die lokalen Kulturen aber oft dauerhaft zerstört. Diese Menschen haben sich über Jahrhunderte an die Besonderheiten ihrer Flüsse und Niederschläge angepasst, bis Dämme und Rohre plötzlich alles verändern. Der neue Überfluss ist jedoch selten von Dauer und geht oft auf Kosten der unmittelbaren Anlieger.
Den Fischern kommt die Beute abhanden, flussabwärts gelegene Anrainer müssen auf fruchtbare, angeschwemmte Sedimente für ihre Felder verzichten, und andere werden zwangsweise umgesiedelt, um Platz für Stauseen zu schaffen: Der Drei-Schluchten-Damm am Jangtse rief deshalb sogar in der chinesischen Volkskammer Widerstand hervor. Nur zu häufig sorgt dies für soziale Konflikte zwischen den Betroffenen auf dem Land und den städtischen Eliten, die eher von wasserbaulichen Maßnahmen profitieren, etwa in Indien, wo Proteste von Landwirten gegen einen amerikanischen Brause-Giganten international Schlagzeilen machten.
Etwas weit hergeholt erscheint allerdings die These des Autors, die Kriege zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn hätten ihren Ursprung auch im israelischen Durst auf palästinensisches oder syrisches Wasser gehabt. Allenfalls waren die Quellen des Jordan auf den Golanhöhen oder die Aquifere unter der Westbank eine willkommene Beigabe der Eroberungen. Für den nahöstlichen Friedensprozess ist es allerdings wenig hilfreich, dass Israel den Palästinensern untersagt, neue Brunnen anzulegen, oder dem Gazastreifen die Frischwasserzufuhr abschneidet.
Zukünftig könnte ein ähnlicher Krisenherd in Südasien lauern, wo Indien einen Induszufluss mit einem Staudamm zum Rinnsal macht und damit den Zorn Pakistans erregt. Und selbst zwischen den einander deutlich wohlgesonneneren Staaten USA und Mexiko brechen diverse Streitereien auf, da vertraglich vereinbarte Wasserzuweisungen an den Grenzflüssen angesichts verschärfter Dürren gegenwärtig nicht zu erfüllen sind.
Umdenken und Umsteuern wären also vonnöten. Und manchmal reicht ein Blick in die Vergangenheit, um der Wassernot abzuhelfen. In den chinesischen Gansu- Bergen etwa sammeln die Menschen wie ihre Vorfahren Regenwasser in eigens dafür hergerichteten Kellern. Zwischenzeitlich war diese Methode fast in Vergessenheit geraten, weil das Wasser aus modernen Leitungen und Brunnen kam. Doch während dieses durch sinkende Grundwasserspiegel immer seltener floss, bewahrten die Zisternen das Nass selbst über längere Trockenphasen hinweg. Heute besitzen 200 000 Haushalte entsprechende Auffangbecken, und ähnliche Ideen finden weltweit Nachahmer.
Selbst schwer in Mitleidenschaft gezogene Feuchtgebiete können sich wieder erholen. So erblühen Mesopotamiens Marschen seit dem Ende des letzten Golfkriegs. Es genügte, die rücksichtslose Politik Saddam Husseins rückgängig zu machen, der hier innerhalb weniger Jahre durch Drainage leblose Salzwüsten schuf, um die ihm verhassten schiitischen Marsch-Araber zu vernichten.
Inmitten des Nachkriegschaos bilden die wiederbelebten Sümpfe einen Schimmer der Hoffnung – auch für einen nachhaltigeren Umgang mit unserem wichtigsten Lebensmittel. Pearce trägt diesen Schimmer in seinem spannenden Buch gerne weiter. Denn was im verheerten Irak möglich ist, sollte auch dem Rest des Planeten gelingen.
In seinem neuen Buch "Wenn die Flüsse versiegen" erklärt der mehrfach preisgekrönte britische Umweltjournalist Fred Pearce, wie er zu dieser beeindruckenden Zahl kommt: Für alles, was wir konsumieren, wird weit mehr Wasser in der Produktion aufgewendet, als im fertigen Produkt enthalten ist. Um ein Kilo Reis ernten zu können, müssen die Bauern bis zu 5000 Liter Wasser auf das Feld bringen. Ein Liter Milch schlägt mit 4000 Litern Wasser zu Buche, ein Kilo Camembert oder ein kleines Rindersteak mit 5000. Eine Tasse Kaffee mit Zucker entspricht 150 Litern Wasser, ein Baumwollhemd ganzen 25 Badewannen voll.
Diese gewaltigen Fluten entziehen sich dem Blick des Käufers, sodass sich Ökonomen mit dem abstrakten Begriff "virtuelles Wasser" behelfen. Aber seinem Namen zum Trotz ist dieses Wasser real, und sein Verbrauch könnte für die Menschheit noch gefährlicher werden als der Klimawandel. Denn mit Produkten wie Baumwolle, Kaffee oder Rindern exportieren viele Staaten weitaus mehr davon, als Niederschläge oder Flüsse ihnen nachliefern.
Die Folge: Weltweit sinken die Grundwasserpegel und trocknen ganze Ströme, Seen und Sümpfe aus. Mit gigantischem Aufwand und häufig ohne Rücksicht auf ökologische oder soziale Risiken werden neue Staumauern errichtet, um das kostbare Nass auf seinem Weg aufzuhalten, zu speichern und seiner – bisweilen fragwürdigen – Bestimmung zuzuführen.
Pearce reist diesen eingedämmten Flüssen seit Jahren nach, und er kann nur wenig Positives von Indus, Jangtse, Colorado, Niger und Themse berichten. Hydrologische Krisengebiete finden sich in Zentralasien und Südeuropa ebenso wie im Westen der Vereinigten Staaten, wo eine stets durstige Landwirtschaft immense Mengen H2O verschwendet, um in wüstenhaften Regionen wasserintensive Kulturen wie Tomaten oder Baumwolle zu ziehen. Und sie liegen in Mittel- und Osteuropa, wo Deiche die Flüsse einengen und diese sich mit Überflutungen kostenintensiv revanchieren.
Afrika bleibt vom Wassernotstand ebenso wenig verschont wie Asien, da hier wie dort gut gemeinter Ingenieurswille die Natur nur kurzzeitig unterwirft, die lokalen Kulturen aber oft dauerhaft zerstört. Diese Menschen haben sich über Jahrhunderte an die Besonderheiten ihrer Flüsse und Niederschläge angepasst, bis Dämme und Rohre plötzlich alles verändern. Der neue Überfluss ist jedoch selten von Dauer und geht oft auf Kosten der unmittelbaren Anlieger.
Den Fischern kommt die Beute abhanden, flussabwärts gelegene Anrainer müssen auf fruchtbare, angeschwemmte Sedimente für ihre Felder verzichten, und andere werden zwangsweise umgesiedelt, um Platz für Stauseen zu schaffen: Der Drei-Schluchten-Damm am Jangtse rief deshalb sogar in der chinesischen Volkskammer Widerstand hervor. Nur zu häufig sorgt dies für soziale Konflikte zwischen den Betroffenen auf dem Land und den städtischen Eliten, die eher von wasserbaulichen Maßnahmen profitieren, etwa in Indien, wo Proteste von Landwirten gegen einen amerikanischen Brause-Giganten international Schlagzeilen machten.
Etwas weit hergeholt erscheint allerdings die These des Autors, die Kriege zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn hätten ihren Ursprung auch im israelischen Durst auf palästinensisches oder syrisches Wasser gehabt. Allenfalls waren die Quellen des Jordan auf den Golanhöhen oder die Aquifere unter der Westbank eine willkommene Beigabe der Eroberungen. Für den nahöstlichen Friedensprozess ist es allerdings wenig hilfreich, dass Israel den Palästinensern untersagt, neue Brunnen anzulegen, oder dem Gazastreifen die Frischwasserzufuhr abschneidet.
Zukünftig könnte ein ähnlicher Krisenherd in Südasien lauern, wo Indien einen Induszufluss mit einem Staudamm zum Rinnsal macht und damit den Zorn Pakistans erregt. Und selbst zwischen den einander deutlich wohlgesonneneren Staaten USA und Mexiko brechen diverse Streitereien auf, da vertraglich vereinbarte Wasserzuweisungen an den Grenzflüssen angesichts verschärfter Dürren gegenwärtig nicht zu erfüllen sind.
Umdenken und Umsteuern wären also vonnöten. Und manchmal reicht ein Blick in die Vergangenheit, um der Wassernot abzuhelfen. In den chinesischen Gansu- Bergen etwa sammeln die Menschen wie ihre Vorfahren Regenwasser in eigens dafür hergerichteten Kellern. Zwischenzeitlich war diese Methode fast in Vergessenheit geraten, weil das Wasser aus modernen Leitungen und Brunnen kam. Doch während dieses durch sinkende Grundwasserspiegel immer seltener floss, bewahrten die Zisternen das Nass selbst über längere Trockenphasen hinweg. Heute besitzen 200 000 Haushalte entsprechende Auffangbecken, und ähnliche Ideen finden weltweit Nachahmer.
Selbst schwer in Mitleidenschaft gezogene Feuchtgebiete können sich wieder erholen. So erblühen Mesopotamiens Marschen seit dem Ende des letzten Golfkriegs. Es genügte, die rücksichtslose Politik Saddam Husseins rückgängig zu machen, der hier innerhalb weniger Jahre durch Drainage leblose Salzwüsten schuf, um die ihm verhassten schiitischen Marsch-Araber zu vernichten.
Inmitten des Nachkriegschaos bilden die wiederbelebten Sümpfe einen Schimmer der Hoffnung – auch für einen nachhaltigeren Umgang mit unserem wichtigsten Lebensmittel. Pearce trägt diesen Schimmer in seinem spannenden Buch gerne weiter. Denn was im verheerten Irak möglich ist, sollte auch dem Rest des Planeten gelingen.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.