Pluto ist tot
"Mein Vater erklärt mir jeden Sonntag unsere neun Planeten": Gibt es eigentlich schon einen neuen Spruch? Als Pluto am 24. August 2006 im Rahmen der Generalversammlung der Internationalen Astronomischen Union in Prag der Planetenstatus aberkannt wurde, löste diese Entscheidung in weiten Teilen der Bevölkerung nicht unbedingt Freude aus. Sie hing an Pluto, dem eisigen Außenseiter unseres Sonnensystems – das musste schon der US-amerikanische Astronom Neil deGrasse Tyson erfahren, der sich als Leiter des Hayden-Planetariums in New York seit Jahren geweigert hatte, Pluto in Ausstellungen als Planeten zu bezeichnen. Tyson bekam deshalb regelmäßig Hassbriefe – meistens von Kindern.
Dabei stand Pluto überhaupt nicht auf der Abschussliste des Physikers, der ihn letztlich dann doch auf dem Gewissen hat: Eigentlich hatte sich Mike Brown vorgenommen, einen zehnten Planeten unseres Sonnensystems zu entdecken. Brown suchte nach großen Objekten im Kuipergürtel, einer Region jenseits des Neptun mit Tausenden kleiner Himmelskörper, unter anderem auch Pluto. Brown fand mehrere transneptunische Objekte – und schließlich auch eines, das einen ähnlichen Durchmesser wie Pluto hatte. Die Bekanntmachung all dieser neuen Himmelskörper entfachte eine Debatte: War dieses neue Objekt (zeitweise nach der Fernsehfigur Xena benannt; inzwischen heißt es offiziell Eris) ein Planet? Wenn ja, warum war Eris ein Planet, aber ein transneptunisches Objekt mit einer geringeren Größe als Pluto nicht? Sollte Pluto überhaupt ein Planet sein?
Browns Entdeckungen lösten in der sonst vielleicht etwas schläfrigen astronomischen Gemeinschaft eine hitzige Debatte darüber aus, was einen Planeten ausmacht und wie man ihn definieren sollte. Das Ende ist bekannt: Die Internationale Astronomische Union beschloss eine Definition, der zufolge ein Himmelskörper als Planet gilt, wenn er sich auf einer Sonnenumlaufbahn befindet, annähernd kugelförmig ist sowie die Umgebung seiner Bahn bereinigt hat. Letzteres trifft weder auf Pluto noch auf Eris zu: Deshalb hat unser Sonnensystem nunmehr nur acht, statt neun oder sogar zehn Planeten. Pluto wurde zum Zwergplaneten degradiert.
Wie sich Mike Brown den Ruf als Planetenmörder eingehandelt hat, beschreibt er selbst im vorliegenden Titel auf sehr kurzweilige Art. Dabei steht weniger die Wissenschaft im Vordergrund: Der Leser erfährt so gut wie nichts über die Entstehung der Planeten oder des Kuipergürtels. Statt dessen nimmt Brown ihn mit in den Arbeitsalltag eines Astronomen, der weit mühsamer, zeitaufwändiger und weniger spektakulär ist, als es die hübschen Aufnahmen des Weltraumteleskops Hubble vermuten lassen. Brown bleibt in seiner Erzählung durchgehend sympathisch, ob er nun über Nächte im Observatorium, Schlafmangel und Windelwechsel wegen der Geburt seiner Tochter, oder aber über den Himmelskörper Haumea schreibt, dessen Erstentdeckung eine Kontroverse zwischen Brown und einem spanischen Astronomenteam auslöste. Dabei ist seine Begeisterung für sein Fach auch für Menschen greifbar, die nicht davon träumen, ihre Nächte in einem Observatorium zuzubringen.
Es ist diese Begeisterung für unseren Nachthimmel und unsere Planeten, genauso wie der unterhaltsame Ton und die Spannung, die Brown trotz des allseits bekannten Ausgangs aufzubauen vermag, die das Buch zu einer sehr lesenswerten Lektüre machen.
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