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Besonnen lenken - Strafen vermeiden

Werden Kinder zu kleinen Haustyrannen, wenn ihre Eltern ihnen zu viel Fürsorge und Aufmerksamkeit schenken? Mit dieser These erregte zuletzt der Psychiater Michael Winterhoff Aufsehen. Seine Befürchtung ist nicht neu: "Die Kinder von heute sind Tyrannen. Sie widersprechen ihren Eltern, kleckern mit dem Essen und ärgern ihre Lehrer", stellte bereits Sokrates fest. Laut Lexikon ist der Tyrann ein Gewaltherrscher, der widerrechtlich Macht hat und seine Untergebenen schikaniert. Aber passt diese Beschreibung wirklich auf einen dickköpfigen Dreijährigen oder eine vorlaute Fünfjährige?

Rolf Arnold, Pädagogikprofessor an der Technischen Universität Kaiserslautern, distanziert sich von dieser Vorstellung und dreht den Spieß um: Um zu verhindern, dass die Erziehung die Kinder tyrannisiert, legt er Eltern, Lehrern und Erziehern 29 Regeln ans Herz. Der Autor zielt damit auf die Unsicherheit und Versagensängste der heutigen Elterngeneration: Wie gehe ich mit aggressivem Verhalten um? Wie begrenze ich den Medienkonsum? Wie viel Nähe und Distanz sind gut und nötig?

Arnolds Maßnahmen sind dem autoritativen Erziehungsstil zuzuordnen: partnerschaftlich die Eigenverantwortung des Kindes fördern, aber zugleich das Verhalten lenken und konsequent sein. Die Basis dafür sei eine gute Beziehung – das ist derzeit Konsens unter Erziehungsexperten (siehe auch G&G 4/2011, S. 14). Doch während zum Beispiel der dänische Familientherapeut Jesper Juul den Eltern zu mehr Gelassenheit rät und bewusstes Erziehen für unwirksam oder gar schädlich hält, legt Arnold in seinen Regeln den Fokus auf konsequentes, aber angemessenes und besonnenes Verhalten: "Übe konsequente Erziehung! Vermeide oder korrigiere Überreaktionen! Arbeite mit Ermutigung, vermeide Disziplinierung! Lebe die Werte, die dein Kind (er)leben soll! Schärfe deinen liebenden Blick!" Beispiele vor allem aus dem Schulalltag veranschaulichen den Sinn und die praktische Umsetzung der jeweiligen Regel.

Aussagen wie "Meide die Sackgassen der Erziehung" sind allerdings viel zu allgemein gehalten. Und ob der Autor seine 29 Regeln für Kinder und Jugendliche sämtlicher Altersstufen als sinnvoll erachtet, bleibt ebenfalls unklar. Noch dazu hat sich Arnold für die klassische Ratgebersprache entschieden: Wenn-dann- Verknüpfungen, Merksätze und Checklisten etwa für Sanktionen sowie viele Übungen kennzeichnen seinen Stil. Damit tut sich der Autor keinen Gefallen, denn der komplexe Inhalt passt nicht so recht in die Verpackung einer Gebrauchsanweisung.

Dabei holt das Buch seine Leser inhaltlich nicht in ihrer Verunsicherung ab – im Gegenteil: Es verlangt zu viel von ihnen. Tritt im Umgang mit Schülern oder dem eigenen Nachwuchs ein echtes Problem auf, dürfte es praktisch unmöglich sein, gedanklich die 29 Regeln durchzugehen, um eine passende Anregung zu finden. Verunsicherten Eltern auf der Suche nach Orientierung täte da eine Anleitung zum gelassenen Umgang mit ihren Kindern besser.

Trotz dieser Wermutstropfen legt Arnold eine ausgewogene Sammlung von Erziehungstipps vor – von konventionellen Ratschlägen etwa zur Regulation kindlichen Medienkonsums bis hin zu neuen Methoden wie Fragen, die Kinder zum Nachdenken anregen, anstatt sie zu dirigieren. Dank der zahlreichen Übungen, Checklisten und praktischen Tipps eignet sich das Buch vor allem als Lehrmaterial für Aus-, Fort- und Weiterbildungen.
  • Quellen
Gehirn&Geist 7/2011

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