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Ein Lied in allen Dingen. Alan Lightman wagt den Grenzgang zwischen Wissenschaft und Poesie

„Der Name, den man mir gegeben hat, entspricht mir nicht; man nennt mich Natur, und ich bin doch ganz und gar Kunst“, ließ Voltaire die Natur sagen. Die Zeiten haben sich geändert, mag man denken; mit ihrer stetig wachsenden Erklärungskraft verdrängen die Wissenschaften alle Poesie aus unserem Universum. Falsch, meint Alan Lightman, Astrophysiker und Professor für Geisteswissenschaften am Massachusetts Institute of Technology. Mit „Zeit für die Sterne“ legt er eine Auswahl von Essays vor, die sich auf sehr persönliche, oft autobiographische Weise mit der Grenze befassen, an der das Wissen endet und das Wunder beginnt. Es entsteht das Bild eines Menschen, der die Welt mit dem Blick des theoretischen Physikers zu sezieren vermag und doch das Staunen nicht verlernt hat. Im Plauderton vermittelt der Autor zahlreicher Romane und Sachbücher die Schönheit der universellen, von den Wissenschaften aufgedeckten Zusammenhänge. Ein Beispiel: Frühlingsstimmung am Ufer eines Sees. Mit den Augen eines jungen Mannes schauen wir hinaus aufs Wasser. Wir blicken uns um. Ein Lichtschein fällt auf unsere Netzhaut, und eine neue Zeitrechnung beginnt. Das Sehmolekül Retinin, kaum getroffen, streckt sich. Eine Kaskade physiologischer Prozesse kommt in Gang. Neuronen feuern, bis am Ende das Bewusstsein des Betrachters steht — und wir finden’s wunderschön, denn wir sehen ein Glanzlicht auf den Lippen einer lächelnden Frau. Ein anderes Beispiel: Was ist eine gute Erklärung? Lightmans kleine Tochter gibt sich nicht mit der Auskunft ihres Vaters zufrieden, das Dromedar sei nur durch Versuch und Irrtum der Natur zu seinem Höcker gekommen, um dort Fett zu speichern. Nein, sie vermutet dahinter Zauberei. Muss man nicht in ähnlicher Weise ehrfürchtig vor den Wundern des Universums verharren, wenn die großen Fragen nach Ursprung und Sinn gestellt werden? Immer wieder spürt Lightman der Frage nach, welche Triebkraft Wissenschaftler zu ihrer unablässigen Suche nach Erkenntnis drängt. Die berufsbedingte Objektivität scheint wenig Raum zu lassen für schöpferische Leistungen des Einzelnen. Und doch berichtet Lightman, er „kenne das Glück, wenn man ... ein Rätsel gelöst hat, das niemand bis dahin verstanden hat, und sich wundert, wie es passiert ist“. So erging es auch Alan Guth. Einer der Essays dreht sich um jenen Dezemberabend des Jahres 1979, an dem der junge Physiker aus Palo Alto den Beweis für sein Modell eines rasant expandierenden jungen Universums fand. In solchen Momenten ist für Lightman die Ewigkeit ganz nah. Wie steinzeitliche Höhlenmalereien stellen große Theorien für ihn vollkommene Schöpfungen des Geistes dar. Sie verleihen einer Epoche Unsterblichkeit. Ob Wissenschaftler oder nicht: Möchte man sich in die Gefilde zwischen Wissenschaft und Poesie begeben, so kann man sich Alan Lightman getrost anvertrauen. Er ist ein sicherer und unterhaltsamer Grenzgänger.

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