Nur für Physikstudenten?
Wenn Roger Penrose ein neues Buch über seine Arbeiten und Ansichten veröffentlicht, wird dies in aller Regel mit großer Aufmerksamkeit zur Kenntnis genommen. Penrose ist immerhin einer der führenden Mathematiker und theoretischen Physiker unserer Zeit. Seine bahnbrechenden Ideen zur kosmologischen Struktur beeinflussen unsere Erkenntnisse über unser Universum maßgeblich. So zeigte er zusammen mit Stephen Hawking, dass die einsteinschen Feldgleichungen zwangsläufig Singularitäten im Universum hervorbringen müssen.
Seit mehr als 20 Jahren beschäftigt er sich mit der Frage nach der Zeitrichtung in unserem Universum, die mit dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik zusammenhängt. Nach diesem nimmt die so genannte Entropie stetig zu, und somit streben das Weltall und all seine Prozesse einem Zustand geringerer Ordnung zu. Das allein ist eine spektakuläre Frage in unserer Welt, und Penrose bringt sie in seinem neuen Buch auf den Punkt. Ein einmal von der Tischkante gefallenes und dann zerbrochenes Ei springt niemals zurück auf den Tisch und setzt sich dort wieder zusammen, obwohl das aus physikalischer Sicht prinzipiell möglich ist. Die Wahrscheinlichkeit ist lediglich überwältigend gering.
Rückwärtslaufende Filme erscheinen uns daher skurril und unwirklich. Wählt man sehr viel größere Zeit- und Raumskalen, wird es spannend. Wenn wir uns mit der Vorstellung eines einmaligen Universums nicht abfinden wollen, sondern nach Prozessen suchen, die aufeinander folgende Universen ermöglichen, verbirgt sich hinter dem zweiten Hauptsatz ein fundamentales Problem. Warum hatte die Singularität des Urknalls eine derart geringe Entropie, und warum war sie so besonders? Was passiert in ferner Zukunft, wenn alle Materie verschwunden ist? Wie kann ein Übergang zwischen zwei aufeinander folgenden Universen dargestellt werden, deren Entropie – verschwindende Dichte und eine Temperatur am absoluten Nullpunkt in einer Epoche einerseits und unendliche Dichte beziehungsweise Temperatur zu Beginn der folgenden Epoche andererseits – so außerordentlich verschieden sind?
Um einen Ausweg aus dem Dilemma zu liefern, entwickelt Penrose eine erstaunliche wie originelle Idee. Er greift auf, dass die Raumzeit ohne Materie, also auch ohne Uhren (Materieschwingungen), keine Metrik mehr hat (Zeit und Raum sind mit der Materie verknüpft). Durch angemessene Reskalierungen könnte ein Übergang zwischen einem materiefreien Raum und einer Anfangssingularität für ein neues Universum definiert werden. Sein Modell einer "konform zyklischen Kosmologie", englisch: "Conformal Cyclic Cosmology" (CCC), nutzt diese Skalierung als mathematischen Trick, um eine Verbindung zwischen einem ausgedünnten Universum, hoher Entropie und einer Singularität hoher Energiedichte und niedriger Entropie zu definieren.
So fesselnd und kosmologisch fundamental die von Penrose aufgegriffenen Fragen und deren Diskussion auch sind, so wenig bietet das vorliegende Buch Lektüre zur "Entspannung". Wer sich die Mühe macht, den Gedankengängen zu folgen, wird mit starkem mathematischem Tobak konfrontiert, und es empfiehlt sich, fortgeschrittene Kenntnisse in Mathematik mitzubringen. Selbst einem ausgebildeten Physiker ist in der Regel nicht bewusst, dass "man Elementarteilchen in der Physik durch die so genannten irreduziblen Darstellungen der Poincaré-Gruppe charakterisiert" (S. 180/182). Oder hat er je von "konformen Diagrammen" gehört?
Zwar werden die zentralen mathematischen Aussagen in einem Anhang aufgeführt, doch wer sich mit Operatoren und Tensoren nicht auskennt, wird Verständnisprobleme haben. Ohne einen Abschluss in Physik oder Mathematik geht hier nichts. Man kann natürlich gänzlich auf die mathematischen Erläuterungen verzichten, läuft dabei jedoch Gefahr, den Argumentationsstrang zu verlieren, zumal Penrose für seinen Modellvorschlag viele Unklarheiten und Vermutungen einräumt und dieser gänzlich als Alternatividee zu bestehenden Modellen (Inflationsoder Stringtheorie) und als Antrieb für weitere Untersuchungen angesehen werden muss. Der Ansatz ist spektakulär, und er erzeugt in der Forschergemeinschaft großes Aufsehen und erhebliche Diskussionen.
Die Faszination, die von den aufgeworfenen Fragen ausgeht, fesselt auch den Laien. Für den interessierten Leser ohne wissenschaftliche Ausbildung bleiben sie wegen einer Mathematik auf höchstem Abstraktionsniveau aber eher unverständlich. Daher stellt sich die Frage, für wen dieses Buch in hoher Auflage und verschiedenen Übersetzungen geschrieben wurde und mit welchem Ziel. Für Fachleute hätte es keiner Übersetzung bedurft.
Wie die meisten Bücher eines Stephen Hawking liefert Penrose mit "Zyklen der Zeit" zweifellos ein faszinierendes Gesprächsthema. Wer nur ein paar Schlagworte benutzt, kann damit auf jeder Party brillieren. Ob die Hintergründe jedoch durchdrungen wurden, ist aber in der Regel eine andere Sache. Die Kombination von wissenschaftlicher Brillanz und der Fähigkeit, höchst komplexe und abstrakte Zusammenhänge auch für den normalen Leser verständlich darzustellen, ist selten. Es gibt leider nur sehr wenige Bücher, die diese Brücke erfolgreich schlagen können. Das vorliegende Werk gehört nicht dazu.
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