Unterschätzte Zimmerpflanze: Der rätselhafte Giftstachel der Palme
Pflanzen gelten ja gemeinhin als friedliche und umgängliche Zeitgenossen, aber das ist nicht immer und überall so. In einer früheren Folge hatte ich ja schon über das passiv-aggressive Potenzial der Avocado berichtet, heute allerdings geht es um eine Palme, die vor einer Weile ebenfalls mit fiesen Handverletzungen in Neuseeland Schlagzeilen gemacht hat.
Der Übeltäter ist die Kanarische Dattelpalme Phoenix canariensis. Die trägt, wie andere Dattelpalmen übrigens auch, an ihren Palmwedeln fiese kleine Stacheln, die gruselige Entzündungen an den Fingergelenken auslösen können. Der Stachel dringt dabei in die Sehnenscheide oder Gelenkkapsel ein, und die Spitze zerbricht in kleine Fragmente, die in der Wunde bleiben und dort eine massive Entzündung mit starken Schmerzen auslösen.
Der Finger wird dick und gelegentlich wuchern Bindegewebs- und Knochenklumpen an der entzündeten Stelle. In vielen Fälle muss das operiert werden, um die winzigen Stücke herauszuholen oder gleich die komplette Sehne zu entfernen. Im Internet gibt es Fotos von den unschönen OP-Narben, wenn ihr auf so was Lust habt. Auf jeden Fall können Stiche von Dattelpalmen sehr lange Ärger machen.
Wieso können so kleine Fragmente so extreme Reaktionen auslösen? Laut einem der Medienberichte sind solche Palmverletzungen der Grund für die Hälfte aller Handoperationen. Die andere Hälfte verursachen vermutlich Avocados. Auf jeden Fall helfen in vielen Fällen weder Antibiotika noch Entzündungshemmer: Die Spitzen der Stacheln, besonders der jungen Blätter, sind giftig.
Bis heute ist nicht ganz klar, was für ein Gift beteiligt ist. Wenn man die Veröffentlichungen liest, gibt es unterschiedliche, mehr oder weniger fundierte Spekulationen; in einer Veröffentlichung von 2008 diskutiert ein Mediziner zum Beispiel, ob es sich um Alkaloide handelt, klassische Pflanzengifte. Aber 2016 hat ein Doktorand von der Universität Kairo die Pflanze auf ihre Inhaltsstoffe analysiert, und von Alkaloiden ist da nicht die Rede.
Stattdessen sind dabei in den Blättern Steroidsaponine zum Vorschein gekommen, und auch das sind interessante Pflanzeninhaltsstoffe mit vielen unterschiedlichen Strukturen und Wirkungen, unter anderem zerstören sie rote Blutzellen. Steroidsaponine sind in sehr vielen Pflanzen enthalten, im Essen harmlos und natürlich gibt es da auch einen passenden Ernährungshype zu; aber es gibt auch Berichte über pflanzliche Steroidsaponine in bestimmten Samen, die bei Injektion sehr giftig sind.
Insofern sind für mich die Saponine die Hauptverdächtigen: Die Stacheln der Dattelpalmen enthalten einen Cocktail von Naturstoffen, der dafür optimiert ist, Pflanzenfressern möglichst lang möglichst viele Unannehmlichkeiten zu bereiten, wenn sie die Pflanze behelligen. Das Gift von Bienen und Wespen funktioniert ähnlich, es ist darauf ausgelegt, möglichst starke Schmerzen zu bereiten. Mit einigem Erfolg.
In Neuseeland, wo die ganze Geschichte gerade die Runde gemacht hat, empfehlen Ärzte dringend, die Biester – also die Palmen – nur mit festen Handschuhen anzufassen. Man kann quasi sagen, dass die Dattelpalmen so was wie die Wespen unter den Palmen sind. Andererseits sind die Pflanzen ja auch hier zu Lande als Zierpflanzen verbreitet, ohne dass den Leuten dutzendfach die Finger abfallen. Möglicherweise haben manche Menschen eine besondere Veranlagung, heftig auf die Palmen zu reagieren – oder einfach Pech.
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