Urbanisierung: Die Menschheit zieht in die Städte
Über die Hälfte der Menschheit lebt in Städten. 2030 werden es 60 Prozent sein, und zur Mitte des Jahrhunderts werden sich bis zu sieben der dann auf der Erde etwa zehn Milliarden lebenden Menschen in urbanen Zentren konzentrieren – mit gewaltigen Konsequenzen für den gesamten Globus.
Das animierte Video der didaktischen Reihe TED-ED, ein Ableger der Konferenzorganisation TED, liefert einen kurzen Überblick über die geschichtliche Entwicklung der Urbanisierung und einen Ausblick in die Zukunft. Konzipiert hat es Vance Kite, der derzeit an der North Carolina State University über Wissenschaftserziehung promoviert und als Lehrer für Biologie, Umwelt- und Geowissenschaften gearbeitet hat. Das 2013 produzierte Video bildet noch immer einen guten Startpunkt für weiterführende Recherchen und Diskussionen.
Heute würde er seinem Skript aber aktuelle Herausforderungen hinzufügen, schreibt Kite auf Nachfrage per Mail. In den ärmsten Ländern gehöre dazu etwa die steigende Zahl von Klimaflüchtlingen aus ländlichen und aus Küstengebieten, die in die schnell wachsenden Städte drängen. In den USA werde die Urbanisierung hingegen durch die zunehmende Migration aus den Vororten zurück in die Zentren beschleunigt. Das fördere zwar notwendige Sanierungen, gleichzeitig jedoch verdränge die Gentrifizierung Menschen niedrigerer Einkommen aus gewachsenen Quartieren.
Die Bedeutung des Themas lässt sich auch daran ablesen, dass ihm viele internationale Organisationen eigene Berichte widmen. Die meisten Megastädte entstehen zurzeit in Afrika und Asien. Dem World Cities Report 2016 der UNO zufolge muss sich die Art und Weise der Urbanisierung drastisch wandeln, denn gegenwärtig basiert sie auf einem exzessiven Ressourcenverbrauch. Städte beanspruchen – bislang noch – weniger als drei Prozent der planetaren Landoberfläche, ihr globaler ökologischer Fußabdruck ist jedoch ungleich größer: Sie verbrauchen über 60 Prozent der Energie, verursachen 70 Prozent des CO2-Ausstoßes und 70 Prozent des Abfalls. Um das unkontrollierte Wuchern urbaner Zentren ebenso wie Klimawandel, Migration und Wohnraummangel zu bewältigen und gleichzeitig den sozialen Zusammenhalt zu fördern, fordert der Report gewaltige Anstrengungen unter anderem im Bereich von Bildung, Inklusion und demokratischer Partizipation.
Das Potenzial von Städten ist indessen groß. Den notwendigen Wandel setzen sie schon heute zum Teil effektiver um als Nationalstaaten, weil sich politischer Wille auf städtischer Ebene leichter bündeln lässt. Zudem arbeiten sie besser zusammen. Mehr als 7400 von ihnen haben etwa den Globalen Konvent der Bürgermeister für Klima und Energie unterzeichnet und sich verpflichtet, die Pariser Klimaziele im Rahmen ihrer Stadtpolitik zu berücksichtigen.
Konkrete Ziele hat auch die UNO formuliert. Bis 2030, so heißt es in ihrer 2015 veröffentlichten 2030 Agenda for Sustainable Development, soll der Zugang zu angemessenem, sicherem und bezahlbarem Wohnraum und zur Grundversorgung sichergestellt werden. Auf der umfassenden Liste der Agenda-Ziele steht außerdem, dass die von den Städten ausgehende Umweltbelastung pro Kopf sinken soll, insbesondere mit Blick auf Luftqualität und Abfallbehandlung.
In Deutschland ist es der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU), der den Städten 2016 in einem Hauptgutachten (hier prägnant als Comic zusammengefasst) drei Kernempfehlungen mit auf den Weg gab. Sie müssten ihre natürlichen Lebensgrundlagen erhalten. Die Bevölkerung müsse an Entscheidungen, Umsetzung und Resultaten teilhaben. Und jede Stadt sollte ihre lokale und kulturelle Eigenart bewahren, Lebensqualität und vielfältige Wege der Selbstentfaltung bieten.
Doch hehre Ziele allein garantieren keinen Erfolg. So kritisiert Michaele Acuto, Professor am University College London, im Januar 2018 in Science, dass eine Wissenschaft der Urbanisierung noch nicht etabliert sei und die wachsenden Datenmengen nicht hinreichend ausgewertet würden. Man plane darum auch weiterhin allzu häufig ins Blaue.
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