Kosmologisches Standardmodell: Doch keine Dunkle Materie? Aufstand der Zwerggalaxien
So hatte Harald Lesch auch mal angefangen. Das war vor Jahrzehnten, als der heutige TV-Chefwissenschaftler im dritten Programm nur mit Kreide und Tafel den Kosmos abhandelte. Nun wandeln die beiden Astronomen Oliver Müller und Federico Lelli in diesem Video auf Leschs Spuren, indem sie am Whiteboard ihre kürzlich im Fachblatt Science erschienene Studie erläutern. Special Effects oder sonstiges "Eye Candy" sind nicht zu erwarten, doch was die beiden Forscher in fünf knappen Minuten präsentieren, hat das Potenzial, die Astronomie aus den Angeln zu heben. Der Science-Redaktion war es jedenfalls eine Titelstory wert.
Worum geht es? Große Galaxien, etwa die Milchstraße oder der Andromedanebel, werden von kleinen Satellitengalaxien umkreist. Als Begleiter unserer eigenen Galaxis sind beispielsweise die beiden Magellanschen Wolken am Südhimmel bekannt. Wie solche zwergenhaften Sternsysteme einst entstanden, ist allerdings noch ungeklärt – die Debatten dauern an.
In ihrer Science-Studie haben sich vier Astronomen aus der Schweiz, den USA, aus Australien und aus Deutschland nun die 13 Millionen Lichtjahre entfernte Galaxie Centaurus A samt deren Zwergengefolge vorgenommen. Sie fanden heraus, dass sich die meisten Begleiter in einer Ebene senkrecht zur Staubscheibe von Centaurus A bewegen; innerhalb dieser Ebene kreisen sie in einem gemeinsamen Drehsinn. Centaurus A ist bereits das dritte Exemplar, bei dem sich diese so genannte Planarität beobachten ließ. "Was wir sehen, ähnelt der Bewegung der Planeten um die Sonne, die sich ebenfalls annähernd in einer Ebene abspielt", so Mitautor Müller, der an der Universität Basel forscht.
Solche Worte klingen vertraut und nach einer schlichten Bestätigung angegrauter Schulphysik. Tatsächlich ist die Studie aber brisant. Denn das sogenannte Standardmodell der Kosmologie kann das Zustandekommen dieser seltsamen Ebenen nicht erklären, sondern sagt das Gegenteil voraus: Die Zwerggalaxien müssten zufällig im Raum verteilt sein. Sind sie aber nicht.
Die wichtigste Ingredienz dieses Modells ist die bislang nur hypothetisch angenommene Dunkle Materie. Ohne sie würde das Theoriegebäude in sich zusammenfallen. Diese unsichtbare Substanz, nach der seit Jahren intensiv gefahndet wird, soll mehr als fünfmal häufiger sein als die sichtbare Materie, aus der Sterne, Planeten und auch Astronomen bestehen. Doch gibt es sie wirklich? Die wissenschaftliche Suche nach den ominösen Dunkle-Materie-Partikeln blieb trotz großer experimenteller Anstrengungen bislang erfolglos.
Dafür aber stoßen Forscher häufig auf indirekte Nachweise ihrer Existenz. Viele astronomische Beobachtungen lassen sich nur erklären, wenn man annimmt, dass Dunkle Materie tatsächlich existiert und durch ihre Schwerkraft in großem Stil Einfluss auf das kosmische Geschehen nimmt. Zum Beispiel hält sie rotierende Galaxien zusammen, indem sie deren Sterne gravitativ bindet.
Angesichts der aufsässigen Zwerggalaxien scheint die erklärende Kraft des Standardmodells aber überraschend zu versagen. Möglicherweise ist also ein noch unbekannter Mechanismus mit am Werk. Doch welcher? Identifiziert man ihn eines Tages, könnte er die Planarität der Zwerggalaxien erklären, vielleicht aber auch – und genau hierin liegt die Brisanz – alles, wofür man bislang die Dunkle Materie verantwortlich macht. Zum Beispiel glauben manche Wissenschaftler, dass das vielfach erfolgreich überprüfte Gravitationsgesetz zwar auf kleineren Skalen gilt, nicht aber über kosmische Distanzen hinweg.
Zumindest für Pavel Kroupa von der Universität Bonn, der die Vorherrschaft des Standardmodells seit Jahren durch immer neue Messungen zu beenden sucht, ist die Existenz der Dunklen Materie angesichts der Daten bereits widerlegt. "Wir erleben ein wissenschaftliches Erdbeben", kommentiert er die Debattenlage – an der jüngsten Studie war mit Marcel Pawlowski übrigens ein ehemaliges Mitglied seiner Arbeitsgruppe beteiligt. Kroupa zufolge ist die Dunkle Materie eine Fiktion und das Gravitationsgesetz dringend reformbedürftig.
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