Energiewende: Thorium: Brennstoff für Atomkraftwerke der Zukunft?
Atomkraftwerke verbrennen keine fossilen Brennstoffe und erzeugen im Betrieb keine Treibhausgase. Bei Flaute oder Dunkelheit stehen sie nicht still, sondern liefern Energie, wo und wann sie gebraucht wird. Sie müssen nicht ständig mit riesigen Mengen an Kohle oder Gas gefüttert werden und produzieren, wenn sie sauber konstruiert sind, fast durchgehend Strom. Auf der anderen Seite können die radioaktiven Elemente in den Sicherheitsbehältern nach einem Unfall große Gebiete radioaktiv verseuchen. Der häufigste Reaktortyp, der so genannte Leichtwasserreaktor, verwendet eine Mischung aus etwa 96 Prozent Uran-238 und vier Prozent des spaltbaren Isotops Uran-235. Natürlich vorkommendes Uran enthält nur etwa ein Prozent Uran-235, es muss deshalb in einem aufwändigen Verfahren auf das Vierfache angereichert werden. Für den Bau einer Atombombe reicht das nicht im Entferntesten, aber sehr wohl zur Energieerzeugung. Man sollte übrigens die Kernspaltung nicht mit dem Kernzerfall verwechseln. Beim Kernzerfall fliegt maximal ein Heliumkern mit der Atommasse vier davon (Alphazerfall), manchmal auch nur ein Elektron oder Positron (Betazerfall). Jedes radioaktive Isotop hat eine charakteristische Halbwertszeit, also die Zeit, nach der die Hälfte einer beliebigen vorgegebenen Menge zerfallen ist. Bei der Spaltung hingegen zerbirst ein Atomkern in zwei annähernd gleich große Teile und setzt energiereiche Neutronen frei, die in weitere Kerne eindringen und sie ebenfalls zur Spaltung anregen. Es entsteht eine Kettenreaktion, die im schlimmsten Fall zu einer gewaltigen, schlagartigen Freisetzung riesiger Energiemengen führt. Das ist das Prinzip der Atombombe.
Atomkraftwerke hingegen halten die Kettenreaktion gerade so weit aufrecht, dass nachgeschaltete Turbinen aus der entstehenden Energie Strom erzeugen können. Im Gegensatz zum Kernzerfall, der mit konstanter Geschwindigkeit abläuft, lässt sich die Intensität der Kernspaltung steuern, indem man Neutronen fängt oder verlangsamt. Das ist eine heikle Aufgabe. Es ist mehrfach vorgekommen, dass ein Reaktor bei einem Störfall oder nach einer groben Fehlbedienung durchgegangen, also unkontrollierbar heiß geworden ist. Als Folge davon sind in Tschernobyl und in Fukushima Reaktorgefäße geborsten und haben große Mengen radioaktiven Materials in die Umwelt entlassen. Aber auch wenn über die gesamte Betriebsdauer kein Unfall geschieht, bleiben am Ende große Mengen radioaktiv gewordenen Baumaterials übrig. Die Betreiberfirmen sind für dessen sichere Entsorgung verantwortlich, aber viele Menschen befürchten, dass diese extrem aufwändigen und teuren Arbeiten an der Allgemeinheit hängen bleiben. Viele der radioaktiven Substanzen müssen für mehrere tausend oder sogar mehrere zehntausend Jahre sicher gelagert werden. In Deutschland hat die von Bundestag und Bundesrat berufene Kommission Endlagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe im Juli 2016 Kriterien für ein Endlager vorgestellt, das die bestmögliche Sicherheit über einen Zeitraum von einer Million Jahre gewährleisten soll.
Das ist unbefriedigend, und so suchen viele Staaten nach Alternativen zu den Leichtwasserreaktoren. Das Video nimmt sich die Zeit, erst einmal das Konstruktionsprinzip dieses Reaktortyps anhand animierter Schemazeichnungen gut verständlich zu erklären. Erst dann widmet es sich der Tatsache, wie und warum das Schwermetall Thorium als alternativer Kernbrennstoff in Frage kommt. Auf den Unterschied zwischen Kernzerfall und Kernspaltung, der für das grundlegende Verständnis schon wichtig wäre, geht es leider nicht ein.
In Staaten wie Russland, China, Indien, den USA und Kanada sind in den letzten Jahren Reaktorentwürfe entstanden, die Thorium statt Uran als Brennstoff verwenden und nicht mehr mit Wasser als Kühlmittel arbeiten. Ihre – etwas divergierenden – Konstruktionsprinzipien könnten viele der bisherigen Nachteile vermeiden, alle stellen jedoch hohe Ansprüche an Material und Technik. Deshalb sind sie nicht ganz einfach zu realisieren. Eigentlich bietet sich Thorium nicht unbedingt als Brennstoff für Atomkraftwerke an. Das silbrig weiße Schwermetall ist nur schwach radioaktiv. Seine Halbwertszeit beträgt 14 Milliarden Jahre. Wenn man zur Zeit der Entstehung der Erde ein Kilo Thorium deponiert hätte, wären davon bis heute nur etwa 20 Prozent zerfallen und hätte sich in Blei umgewandelt. Das 1829 entdeckte und erstmals 1914 in reiner Form dargestellte Element wurde im 20. Jahrhundert als Thoriumoxid zu Glühstrümpfen verarbeitet und in der Medizin eingesetzt. Im Jahr 1929 kam das thoriumhaltige Kontrastmittel Thorotrast auf den Markt, das eine hervorragende Röntgendarstellung des Gefäßsystems ermöglichte. Die geringe Radioaktivität galt als tolerierbar, und bei Tests erwies sich das Material als gut verträglich. Was man damals nicht wusste: Einmal injiziert, wurde es kaum wieder ausgeschieden, reicherte sich im so genannten retikulohistiozytären System an und begünstigte nach einer Latenzzeit von 20 Jahren oder mehr die Entstehung verschiedener bösartiger Karzinome. Thorium kommt häufiger vor als Uran, aber ihm fehlt eine für Atomkraftwerke – und Atombomben – ganz entscheidende Eigenschaft: Der Kern des einzigen natürlich vorkommenden Isotops Thorium-232 lässt sich nicht spalten. Deshalb bedarf es eines Tricks, um es als Kernbrennstoff nutzen zu können. Wenn der Thoriumkern ein Neutron einfängt, wandelt er sich in Protactinium-233 um, das mit einer Halbwertszeit von knapp 27 Tagen zu Uran-233 zerfällt. Dieses Uranisotop lässt sich spalten und eignet sich gut als Brennstoff für Atomkraftwerke. Wenn man also Thorium und Uran-233 zusammen als Kernbrennstoff verwendet, dann entsteht laufend neues Uran-233. Im Fachjargon spricht man davon, dass Uran erbrütet wird. Thoriumreaktoren lassen sich auch so betreiben, dass kaum langlebige radioaktive Stoffe entstehen. Die Sicherheit der Endlagerung müsste deshalb nur für rund 300 Jahre gewährleistet sein, nicht für eine Million Jahre – ein ganz entscheidender Vorteil. China und Indien interessieren sich noch aus einem anderen Grund für Thoriumreaktoren. Sie verfügen über große Vorkommen des Schwermetalls, müssen das Uran für ihre heutigen Kraftwerke – und Atombomben – aber im Ausland einkaufen.
Thorium soll in einer neuen Generation von Kernkraftwerken verwendet werden, den so genannten Schmelzsalzreaktoren. Die heutigen Reaktoren arbeiten mit heißem Wasser unter hohem Druck bei Temperaturen bis zirka 330 Grad Celsius. Die Schmelzsalzreaktoren würden 600 bis 700 Grad heißes Lithium-Fluorid oder Lithium-Beryllium-Fluorid bei Atmosphärendruck verwenden. Thorium und Uran-233 sind in diesen flüssigen Salzen gelöst. Große Pumpen halten die Schmelze ständig in Bewegung. Sie gibt einen Teil ihrer Wärme an einen Sekundärkreislauf ab, und der treibt die Turbinen zur Stromerzeugung an. Das Verfahren hat diverse Vorteile. Zum einen nutzt es den Brennstoff sehr gut aus, zum anderen lässt es sich leicht gegen Überhitzung sichern. Ein Pfropf im Boden des Reaktorgefäßes schmilzt durch, wenn die Temperatur zu hoch wird, und das Salz läuft in ein Auffanggefäß, in dem die Kettenreaktion zum Stillstand kommt. Damit wäre das Kraftwerk inhärent sicher. Das Video erklärt die prinzipielle Funktion der Thorium-Schmelzsalzreaktoren verständlich und korrekt. Auf bisherige Erfahrungen geht es allerdings nicht ein. So ganz neu ist das Verfahren nämlich nicht: Ein experimentelles Kraftwerk dieser Art wurde in den 1960er Jahren in den USA gebaut. Das Oak Ridge National Laboratory in Tennessee betrieb einen Acht-Megawatt-Reaktor mit Uran-235 und Uran-233 als Brennstoff. Ein größerer Reaktor wurde aber nie gebaut.
Auch Thoriumreaktoren hat es schon gegeben. Im Deutschland war zwischen 1985 und 1989 der Thorium-Hochtemperaturreaktor THTR-300 in Hamm-Uentrup am Netz und produzierte Strom. Er verwendete ein Mischoxid aus Thorium und Uran, das in zirka sechs Zentimeter großen Graphitkugeln eingeschlossen war. Erst wenn genügend davon dicht beieinanderlagen, lief die Kettenreaktion an und erzeugte Wärme. Sollte der Reaktor zu heiß werden, ließ man die Kugeln wieder auseinanderrollen. Das Prinzip war bestechend einfach, aber die großtechnische Umsetzung erwies sich als schwierig. Der Reaktor lief derart holperig, dass ihn die nordrhein-westfälische Landesregierung nach weniger als vier Jahren stilllegen ließ. Das sollte für die Erbauer moderner Schmelzsalzreaktoren eine deutliche Warnung sein. Trotzdem mangelt es nicht an innovativen Konzepten. In Deutschland wirbt das private Berliner Institut für Festkörper-Kernphysik für das Konzept eines »Dual-Fluid-Reaktors« als Weiterentwicklung des Schmelzsalzreaktors. Bisher haben die Initiatoren aber noch keinen Partner gefunden, der die notwendigen Milliarden Euro für die Realisierung bereitstellt. Indonesien hat vor wenigen Wochen mit der amerikanischen Firma ThorCon einen Vertrag über Planung und Bau eines Schmelzsalzreaktors abgeschlossen. Ein Termin für die Inbetriebnahme steht noch nicht fest. China möchte den ersten experimentellen Reaktor dieser Art dagegen schon im nächsten Jahr hochfahren. Sollte sich das Prinzip bewähren, könnten die Atomreaktoren eine Renaissance erleben, denn China möchte die Technologie auch gerne in andere Staaten exportieren.
Wie nicht anders zu erwarten, sind Atomkraftgegner auch von Thoriumreaktoren nicht unbedingt begeistert. Und Kernphysiker warnten in einem Artikel für das Wissenschaftsjournal »Nature« vor den Risiken, dass Uran-233 sich für den Bau von Atombomben verwenden ließe. Das Video von PBS Space Time gibt keine Empfehlung ab, sondern belässt es bei der Vorstellung des Funktionsprinzips. Die Zuschauer werden zum Schluss ausdrücklich aufgefordert, sich eine eigene Meinung zu bilden.
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