Filmkritik: "Life": Evolutionäre Auslese in der Schwerelosigkeit
Die meisten der Außerirdischen, die Filme und Bücher bevölkern, scheinen direkt unseren Wünschen und Ängsten zu entspringen. "E.T." verkörpert ebenso wie Paul, das "Alien auf der Flucht", den allerbesten Freund, wie ihn niemand je hatte, während das namenlose "Alien" aus der von Ridley Scott begründeten Filmreihe wie ein fleischfressender Albtraum agiert.
Irgendwann wird uns aber die Realität begegnen. Dann treffen wir auf außerirdische Lebensformen, die ebenso wie wir Ergebnis von Jahrmilliarden der Evolution und gnadenloser Auslese sind, sich aber in einer fremdartigen Umwelt entwickelt haben. Der Sci-Fi-Horrorfilm "Life", vom chilenisch-schwedischen Regisseur Daniél Espinosa in Szene gesetzt, hat sich vorgenommen, diese erste Begegnung so authentisch wie möglich auf die Leinwand zu bringen. Das Erstaunliche: Es ist ihm in hohem Maß gelungen.
Mit Glück und Wagemut fängt die Besatzung der Internationalen Raumstation zu Beginn des Films einen Satelliten ein, der Bodenproben vom Mars zurückbringt. Um Risiken zu vermeiden (Stichwort Rückwärts-Kontamination), untersuchen sie diese noch im Weltraum. Und tatsächlich findet sich ein Einzeller: Der erste Nachweis von außerirdischem Leben ist erbracht! Scheinbar leblos, liegt er lediglich im Kälteschlaf und wacht nun langsam auf.
Denkbar ist das. Vermutlich herrschten auf dem Mars, beginnend vor 3,8 Milliarden Jahren, mindestens 700 Millionen Jahre lang lebensfreundliche Bedingungen. So besagt es unter anderem eine Science-Studie vom Juni 2017. Einzeller als einfachste Organisationsform des Lebens hätten also genügend Zeit für die Eroberung unterschiedlichster Lebensräume gehabt, zumal auch in der Folgezeit Asteroideneinschläge oder vulkanische Aktivität immer wieder – allerdings kurzlebige – Seen hervorgebracht haben, in denen Leben überdauern kann. Selbst auf dem heutigen Roten Planeten halten Forscher das Vorkommen von Pilzen weiterhin für denkbar.
Ähnlich einzelligen irdischen Schleimpilzen, die zusammenfließen und Fruchtkörper bilden können, erweisen sich die marsianischen Lebensformen im Film als fähig, einen komplexen Organismus zu bilden. Am Ende seines Wachstums erweist er sich als Spitzenraubtier, hervorgegangen aus der gnadenlosen Auslese eines evolutionären Überlebenskampfs in einem harschen Ökosystem. Espinosa hat ihn als Zusammenschluss von Einzellern konzipiert, die gleichzeitig als Muskeln, Nerven und Lichtsensoren arbeiten. Wird der Verbund angegriffen, wehrt er sich nach Kräften. In allzu bedrohlichen Situationen lösen sich die Einzeller aber vorübergehend voneinander und können so dem Gegner entwischen.
Dass wir keine irdischen Vorbilder für multifunktionale Zellen kennen, überrascht indes wenig. Weil auch Zellen mit begrenzten Ressourcen haushalten müssen, spezialisieren sie sich – wie unser Muskel- und Nervengewebe – und übertreffen im evolutionären Wettbewerb jeden Generalisten, zumindest in ihrer jeweiligen Disziplin. Hinzu kommt, dass die dauerhafte Stabilität der irdischen Ökosysteme eine solche Spezialisierung begünstigte – anders als vielleicht auf dem Mars. Dass aber aus Multifunktionalität enorme Kraft, erstaunliche Intelligenz und hohe Resistenz gegen Feuer und Vakuum erwachsen sollen, erscheint weit übertrieben.
Und warum kann das Alien überhaupt sehen? Lichtempfindliche Zellen alleine reichen nicht aus, dafür braucht es schon einen optischen Apparat aus Linse und anderen Elementen. Erstaunlicherweise aber finden sich in bestimmten irdischen Einzellern, den Dinoflagellaten, tatsächlich Ansätze einer solchen Konstruktion – insofern scheinen die visuellen Fähigkeiten des Marsmonsters zumindest nicht völlig aus der Luft gegriffen.
Vor Espinosa hat sich übrigens niemand daran gewagt, einen Film zu drehen, dessen Geschichte ausschließlich in der Schwerelosigkeit spielt (genauer: im freien Fall, vergleiche die SciViews-Videorezension Völlig losgelöst: Musikvideo in der Schwerelosigkeit). Verblüfft sieht man die Protagonisten vor ihren Computerkonsolen schweben oder mit dem Kopf voran durch die Gänge schießen.
In der fiktionalen BBC-Dokumentation "Space Odyssey – Reise zu den Planeten" buchten die Produzenten eine Serie von Parabelflügen, um einige wenige Szenen in echter Schwerelosigkeit zu drehen. Hingegen spielt praktisch die ganze Handlung von "Life" im Weltraum, weshalb weder die ISS selbst noch Flugzeuge auf Achterbahnfahrt als Studio in Frage kamen. Stattdessen griff das Special-Effects-Team zu aufwändigen Simulationen, wie ein Making-Of auf der DVD eindrucksvoll dokumentiert.
So entfaltet "Life" beeindruckende Wirkung: Nie zuvor war eine so exakte Nachbildung des Lebens von Astronauten auf der Leinwand zu sehen. Und auch extraterrestrische Raubtiere sollten nicht von vornherein als unrealistisch abgetan werden. Leben neigt dazu, sich auszubreiten – rücksichtslos und mit allen Mitteln. Wir Menschen sollten das am besten wissen.
Life. VoD, DVD und Blu-ray, USA, 2017. Regie: Daniél Espinosa
Schreiben Sie uns!
1 Beitrag anzeigen