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Tech-Talk: Flagship Quanten – auf Kurs?

Vor kurzem verkündete die EU eher beiläufig, dass Geld für ein gewaltiges Flagship-Projekt für Quantentechnologien bereit stünde; es soll die führende Position Europas in diesem Forschungsfeld in marktfähige Technologien ummünzen. Ob das gelingen kann? Susanne Päch sprach mit Tommaso Calarco, der zusammen mit führenden Quanten-Wissenschaftlern das europäische Quantenmanifest verfasst hat, Grundlage für die milliardenschwere Forschungs- und Wirtschaftsförderung.
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Tech-Talk: eine Milliarde Euro für Entwicklung europäischer Quantentechnologien

Veröffentlicht am: 12.06.2016

Laufzeit: 0:16:47

Sprache: deutsch

Hyperraum TV ist ein von der Medienwissenschaftlerin und Wissenschaftshistorikerin Susanne Päch betriebener Spartensender für Wissenschaft und Technologie.

Tommaso Calarco ist das, was man als einen "konservativen Visionär" bezeichnen könnte. Lieber nimmt er in Kauf, später als Pessimist beurteilt zu werden, als heute mit falschen Erwartungen unerreichbare Hoffnungen zu schüren. Und zweifellos gehört auch Profilneurose nicht zu den Gefährdungspotenzialen für den italienischen Forscher, der über Innsbruck nach Deutschland kam und heute an der Uni Ulm an einem der führenden europäischen Standorte der Quantenphysik tätig ist. Mehrfach betonte er in unserem Gespräch, dass die wissenschaftliche Gemeinschaft und nicht seine Person im Zentrum der jetzt anstehenden gewaltigen Aufgabe stehe, Europas Industrie in der Quantentechnologie den Boden zu bereiten. Offen spricht Calarco auch darüber, dass man Lehren aus dem chaotischen Prozess um das Großprojekt zur Hirnforschung, das Human Brain Project, gezogen hat, das – ebenfalls mit einer Milliarde ausgestattet – in den ersten beiden Jahren vor allem durch Missmanagement auffällig wurde. Es macht durch Streitereien in großem Stil von sich reden, die bis zur offenen Revolte mit der Absetzung des Projektverantwortlichen geführt haben. Aus dem, was da schief gelaufen ist, hat man gelernt, sagt Calarco. Die Fehler wollen die Verantwortlichen im Flagship Quantentechnologie jedenfalls nicht noch einmal machen.

In unserem Gespräch ging es um die Ziele und den Status des Projektes, aber auch um die Marktfrage – also darum, ob die europäische Industrie im globalen Quantentechnologie-Wettbewerb mit den USA und China überhaupt noch eine relevante Rolle besetzen kann. Calarco sagt ganz offen, dass aufgrund der gewaltigen Investitionen globaler Konzerne à la Google und IBM für europäische Unternehmen nicht mehr viel Zeit bliebe. Allerdings ist seiner Meinung nach das Tor noch offen, dass sich kleine, aus der Forschung erwachsende Spin-Offs, aber auch große Unternehmen wie beispielsweise Bosch eine führende Rolle erarbeiten können – vorausgesetzt allerdings, sie seien bereit, in diese Entwicklungen massiv zu investieren. Genau hier soll das Maßnahmenpaket der EU forschungs- und industriepolitisch unterstützen. Die anvisierten Produkte reichen von Quantensensoren bis zu Quantensimulatoren.

Das Fernziel Quantencomputer ist zwar auch schon am Horizont zu sehen, doch Calarco spricht lieber von der jetzt anstehenden technologischen Entwicklung von "Quantensystemen", die beispielsweise für die Sensorik in der Automobil- und Luftfahrtindustrie oder auch bei der Entwicklung neuer Nanomaterialien zum Einsatz kommen. Hier lassen sich die Phänomene der Quantenwelt in Produkte mit sehr spezifischen Aufgaben einsetzen. Bisher gibt es schon für konkrete Aufgaben – beispielsweise die Zerlegung in Primzahlen oder die Suche in unstrukturierten Datenbanken – stabile Quanten-Algorithmen. Ein frei programmierbarer Computer mit einem Quantenbetriebssystem, bis dahin braucht es aber noch viel Forschung. "Wir haben heute keine Ahnung, wie das gehen soll", sagt Calarco. Es wird also länger dauern, ehe die Quantentechnologie so umfassend beherrschbar ist, dass sie breit in den Markt für Computer einbrechen kann. Zuerst werden die Maschinen in Rechenzentren einsetzbar sein, wann sie und ob überhaupt jemals auf den Schreibtisch oder gar bis in die Hosentasche kommen, ist heute noch eine Frage für die mutigen Visionäre, zu denen aber gehört Calarco eben nicht. Bei diesem Thema hält er’s lieber mit Wittgenstein und sagt: "Worüber du nicht reden kannst, sollst du schweigen!"

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