Wir Werden Alle Sterben: Die neuen Mutationen der Vogelgrippe
Heute müssen wir mal wieder einen Blick auf das Vogelgrippevirus H5N1 werfen, das seit einigen Jahren weltweit grassiert. Da gab es nämlich jetzt zwei wirklich unerfreuliche Entwicklungen. Die erste ist, dass bei einem schwer an H5N1 erkrankten Menschen in Kanada zwei besorgniserregende Mutationen aufgetreten sind. Bedeutsam sind vor allem die Stellen, an denen sie auftauchten. Sie betreffen die Positionen 226 und 190 im Hämagglutinin des Virus. Dieses Molekül – für das das H in H5N1 steht – bindet an den Zellrezeptor, so dass das Virus die Zelle infizieren kann.
Vögel und Menschen präsentieren in den oberen Atemwegen unterschiedliche Bindungsstellen für Grippeviren. Man weiß, dass Mutationen in den Positionen 226 und 190 bei anderen Hämagglutinin-Subtypen wie H1 dazu führen können, dass ein Vogelgrippevirus nicht mehr an den Vogel-Rezeptor bindet, sondern an den etwas anderen Menschen-Rezeptor. Das legt nahe, dass in Kanada ein ansteckenderes und gefährlicheres Virus entstanden ist.
Dass das sehr wahrscheinlich ist, zeigt jetzt auch eine neue Studie. In dieser haben Fachleute das Hämagglutinin des in Rindern zirkulierenden H5N1-Virus gezielt verändert, um zu testen, wann es – wenn überhaupt – gut an den Menschen-Rezeptor bindet. Das Ergebnis: ein Austausch in Position 226 lässt auch bei der Vogelgrippe das Protein von der α2-3-gebundenen Neuraminsäure der Vögel zur α2-6-Bindung der Säugetiere wechseln. Zusätzliche Mutationen in anderen Positionen stärken das noch weiter. Und damit ist eben auch wahrscheinlich, dass die Mutationen in Kanada genau diesen Effekt hatten.
Was H5N1 noch braucht
Das zeigt also nicht nur, dass H5N1 durch wenige Mutationen zum menschlichen Rezeptoren wechseln kann – was vorher keineswegs klar war –, sondern auch, dass das sogar schon in der freien Wildbahn passiert ist. Und diese Rezeptorbindung ist ganz entscheidend dafür, dass die Vogelgrippe zur Pandemie werden kann. Denn wie beim Coronavirus kennt das menschliche Immunsystem den Erreger nicht, und wenn das Virus effektiv Menschen ansteckt, kann es sich ungehindert ausbreiten.
Die entscheidende Frage ist: Reicht die Bindung an menschliche Rezeptoren, um die Vogelgrippe zum Pandemievirus zu machen? Die Antwort ist: nein.
Um eine Pandemie auslösen zu können – also sich effektiv von Mensch zu Mensch auszubreiten –, muss das Virus noch mehrere andere Hürden überwinden. Zuerst einmal braucht das Virus die Proteine in der Zelle für seine Vermehrung. Viren können das nicht allein. Aber auch die Proteine in der Zelle sind bei Menschen etwas anders als bei Vögeln, und deswegen muss sich H5N1 auch daran anpassen. Das betrifft vor allem die aus drei Proteinen (PB2, PB1 und PA) bestehende Polymerase, die das Erbgut der Vogelgrippe vervielfältigt.
Dann muss sich H5N1 wahrscheinlich an die niedrigere Körpertemperatur anpassen. Atemwegsviren haben in den meisten Fällen einen optimalen Temperaturbereich, bei der sie sich gut vermehren. Die Vogelgrippe lebt normalerweise im Darm, und Vögel haben eine Körpertemperatur von über 40 Grad. Beim Menschen verbreitet sich Grippe aber über die oberen Atemwege, und in der menschlichen Nase herrschen nur rund 33 Grad. Untersuchungen legen nahe, dass das zu kalt für das Virus ist.
Schließlich muss sich das Virus auch noch daran anpassen, in den Aerosoltröpfchen zu überleben, mit denen sich eine Menschengrippe hauptsächlich verbreitet. Vogelgrippe lebt normalerweise im Darm der Vögel und verbreitet sich über Fäkalien. Es muss deswegen eine ganz neue Art der Ausbreitung lernen. Und das ist wegen der besonderen Bedingungen in Aerosolen schwierig.
Der Club der Pandemieviren
Wegen all dieser Schwierigkeiten gibt es sogar die Vermutung, dass H5N1 gar nicht »pandemiefähig« ist. Demnach können nur ganz bestimmte Grippeviren überhaupt Pandemien beim Menschen auslösen. Alle Grippepandemien der letzten 130 Jahre wurden von genau drei Subtypen ausgelöst: H1, H2 und H3. Möglicherweise bilden diese drei den ganz exklusiven Klub der pandemiefähigen Grippeviren, und andere Subtypen wie H5 oder H7 können sich aus grundlegenden biologischen Gründen nicht gut genug zwischen Menschen ausbreiten, um eine Seuche auszulösen.
Andererseits steigt bei einem Virus, das an menschliche Rezeptoren andockt und sich in menschlichen Zellen vermehrt, der evolutionäre Druck dramatisch, sich auch in den anderen Aspekten anzupassen. Wenn das erst passiert ist, könnte H5N1 die restlichen Hindernisse sehr schnell überwinden. Außerdem kann das Virus viele dieser Hürden auch auf einen Schlag überspringen. Grippeviren haben ein Genom, das aus mehreren Teilen besteht. Deswegen können unterschiedliche Viren leicht genetisches Material austauschen und H5N1 könnte so die nötigen Gene einfach von einer Menschengrippe übernehmen.
Das ist sogar der normale Weg zu einer pandemischen Grippe. Jetzt beginnt die erste Grippesaison, in der gleichzeitig regelmäßig Menschen mit H5N1 infiziert sind – nämlich die Arbeiter in den Milchbetrieben mit infizierten Rindern. Dort scheint die Dunkelziffer an Infizierten hoch zu sein. Und wenn jetzt ein menschliches Grippevirus hinzu kommt, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass es sich zusammen mit H5N1 im gleichen Wirt befindet. Dann könnten die beiden Viren ihre Gene neu kombinieren und ein Virus bilden, das aus Vogel- und Menschengrippe-Anteilen besteht. Und das wäre womöglich tatsächlich das befürchtete Pandemievirus.
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