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Impfung: Impfgegner als Gesundheitsrisiko?

Im Januar hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sie in die »Top Ten« der weltweiten Gesundheitsrisiken aufgenommen - Impfgegner. Allein im ersten Quartal 2019 wurden weltweit beispielsweise 112 000 Masernfälle registriert. Das sind 300 Prozent mehr als im Vorjahr. Eigentlich wollte man das Virus bis 2020 weitgehend ausrotten. Die WHO macht Menschen, die sich nicht impfen lassen, dafür verantwortlich, dass die Masern seit einigen Jahren wieder auf dem Vormarsch sind. Im Video des Bayrischen Rundfunks wird das anfangs sehr drastisch herausgestellt. Ist es wirklich so gefährlich, sich nicht impfen zu lassen?
http://www.youtube.com/watch?v=-bOhk41fVi0
© Bayrischer Rundfunk
Impfgegner: Eine Gefahr für die Gesellschaft?

Videotext: Veröffentlicht am: 01.04.2019

Laufzeit: 0:06:21

Sprache: deutsch

Angeblich wächst die Zahl der Impfgegner. Woran kann man das festmachen? Werden in Deutschland heute wirklich weniger Menschen geimpft als früher? Konkrete Zahlen werden im Video leider nicht genannt. Die in verschiedenen Medien kursierende Behauptung, die Masern-Impfquote in Deutschland sei gesunken, ist beispielsweise schlichtweg falsch. Sie beruht auf einem simplen Zahlendreher in einem Antrag, in dem die FDP eine allgemeine Impfpflicht forderte. Tatsächlich, so geht es aus einer Statistik des Robert Koch-Instituts (RKI) hervor, ist bei Zweijährigen der prozentuale Anteil der gegen Masern geimpften Kinder sogar gestiegen.

Warum hat also die Zahl der Masernfälle in den letzten Jahren so stark zugenommen? Das liegt laut dem RKI unter anderem an einer Impflücke aus der Vergangenheit: Als die Ständige Impfkommission (STIKO) 1973 erstmals die Empfehlung aussprach, Kinder gegen Masern impfen zu lassen, war eine einmalige Immunisierung vorgesehen. Die zweite Impfung, die in der Regel lebenslänglich vor dem Ausbruch der Krankheit schützt, wurde erst 1991 eingeführt und wird heute für Kinder im zweiten Lebensjahr empfohlen. Vielen Erwachsenen fehlt also die zweite Impfung – und sie wissen oft gar nicht, dass sie die Masern bekommen und weiterverbreiten können. Deshalb rät die STIKO auch Erwachsenen, ihren Impfstatus zu checken und sich gegebenenfalls nochmals impfen zu lassen. Außerdem sind – trotz stabiler Raten – immer noch etwa sieben Prozent der Schulkinder in Deutschland nicht geimpft. Wegen dieser Lücken gibt es hier zu Lande also offenbar zu viele Menschen, die das Virus verbreiten können. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn formuliert: »Erst wenn mehr als 95 Prozent gegen Masern geimpft sind, können wir diese gefährliche Infektionskrankheit ausrotten.« Damit spielt er auf das Phänomen der Herdenimmunität an: Lassen sich ausreichend viele impfen, sind alle Menschen einer Population vor einem Erreger geschützt. Auch diejenigen, die sich zum Beispiel aus gesundheitlichen Gründen nicht impfen lassen dürfen.

Ob die Zahl der Menschen, die sich bewusst nicht impfen lassen, tatsächlich zugenommen hat, ist unklar – man findet keine konkreten Zahlen. Spahn will die Impfung von Kita- und Schulkindern notfalls durch Geldstrafen und Kita-Ausschluss erwirken. Eigentlich sollten umfangreiche Impfkampagnen genügen, findet ein Arzt im Video, um Menschen vom Sinn der Masernimpfung zu überzeugen. Warum wollen manche Menschen sich und ihren Nachwuchs eigentlich nicht impfen lassen?

In dem Video bekommt »der Gegner« ein menschliches Gesicht. Eine Mutter erklärt, warum sie ihre Kinder nicht gegen Windpocken impfen lassen will. Der Leiter der Infektionsbiologie eines Klinikums und eine Kinderärztin erklären, warum es in ihren Augen wichtig ist, sich impfen zu lassen. Sie fänden es peinlich, dass wir in Deutschland heutzutage noch masernbedingte Todesfälle verzeichnen müssen. Das Video schneidet einige Gründe an, warum Menschen sich nicht impfen lassen wollen. Es kursieren aber noch viele weitere Theorien: Wollen die Menschen bewusst – gewissermaßen egoistisch – von der Herdenimmunität profitieren? Vertrauen sie naiv auf ihr eigenes Immunsystem? Eine interessante Sichtweise eröffnet der Molekulargenetiker Alasdair MacKenzie von der University of Aberdeen. Er findet, dass unsere Gesellschaft viel zu bequem und hygienisch sei. Wir glaubten demnach, durch die Wissenschaft der Evolution entronnen zu sein – doch seien wir stattdessen beispielsweise auf Impfungen angewiesen, um zu überleben.

Ließen wir uns nicht mehr impfen, brächte uns das also ein Stück natürliche Selektion zurück. Dann müssten Frauen in Deutschland aber vielleicht mehr als durchschnittlich 1,5 Kinder zur Welt bringen. Laut Studien haben Impfungen dazu beigetragen, die Kindersterblichkeit in Europa zu senken. Weltweit sterben jährlich noch etwa 1,5 Millionen Kinder unter fünf Jahren an Krankheiten, vor denen man sie durch Impfungen hätte bewahren können.

Trotz möglicher Nebenwirkungen halte ich die Empfehlungen der STIKO, darunter die Masernimpfung, für sinnvoll. Ob ein Gesetz hilft, unsere Impflücke zu schließen, ist fraglich. In manchen Ländern, beispielsweise in Kroatien, ist die Masernimpfung bereits obligatorisch. Dennoch steht das Land auf Platz eins der Masern-Fallzahlen in der EU. Dänemark und die Niederlande hingegen haben die Krankheit ohne Impfpflicht ausgerottet.

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