High Life: In der Wärme und Kälte des Weltraums
Der Film beginnt mit einem Neuanfang. Monte, der letzte Überlebende der Besatzung des interstellaren Raumschiffs mit der Nummer sieben, zwängt die gekühlt aufbewahrten Leichname seiner Kameraden in Raumanzüge, öffnet die Tür nach draußen und kippt einen Körper nach dem anderen ins Nichts. Dann widmet er sich wieder liebevoll seiner Tochter Willow, die ungefähr ein Jahr alt ist. Fünf Jahre sind seit dem Start vergangen, dreizehn weitere stehen noch bevor. Der Film erzählt abwechselnd, wie es zum Tod der Besatzungsmitglieder kam und wie es für Monte und Willow weitergeht.
Das Raumschiff sieht nicht so aus, wie man es von Sciencefiction-Filmen gewohnt ist. Die Luftschleuse ähnelt der Umkleide einer Baustelle. Die schäbigen Raumanzüge hängen nachlässig an Haken, darüber steht der Name des Trägers als Prägeetikett. Überhaupt sieht das Raumschiff aus, als hätte jemand drei Wohncontainer übereinandergestapelt und Triebwerke daruntermontiert. Eine ständige Beschleunigung von 1 g soll Erdschwere simulieren. Spätestens jetzt dürfte jedem Zuschauer aufgehen, dass im Film »High Life« Physik und Technik keine große Bedeutung haben. Wer von der französischen Regisseurin und Drehbuchautorin Claire Denis bereits gehört hat, wird auch nichts anderes erwarten. Sie ist seit Jahrzehnten für künstlerische Filme bekannt, in denen sie das komplizierte und nicht selten abgründige Innenleben ihrer Figuren sorgfältig auslotet. Einige ihrer Werke widmeten sich auch der Kritik an den Verbrechen der französischen Kolonialzeit. Waren ihre Filme bisher aber meist auf dem Boden der Realität angesiedelt, hebt »High Life« buchstäblich ab.
Die Prämisse und das gesamte Setting sind weitgehend absurd. Eine Gruppe von Schwerverbrechern soll mit einem Raumschiff zu einem Schwarzen Loch fliegen und versuchen, es als Energiequelle für die Menschheit dienstbar zu machen. Es fällt das Stichwort »Penrose-Prozess«. Damit könnte einem rotierenden Schwarzen Loch, dem wegen der enormen Schwerkraft sonst kein Lichtstrahl entkommt, eventuell Bewegungsenergie entzogen werden. Doch selbst, wenn es gelänge, einem Lichtjahre entfernten Schwarzen Loch Energie abzuzapfen, müsste man sie irgendwie zur Erde transferieren. Das wäre eine Aufgabe für ausgewiesene Spezialisten, nicht für Mörder und Gewaltverbrecher. Aus den Gesprächen wird auch schnell klar, dass die Besatzung die Mission für unsinnig hält und nicht mit einer Rückkehr rechnet. Der stille Monte und die Ärztin Dibs (»dibs!« bedeutet im Englischen »meins!«) sind die Hauptfiguren des Films. Von den übrigen lässt eigentlich nur der Schwarze Tcherny einen eigenen Charakter erkennen. Dibs, eindrucksvoll gespielt von Juliette Binoche, ist besessen von der Idee, im Weltall Babys heranwachsen zu lassen, obwohl die Strahlung eigentlich zu stark dafür ist. Sie nimmt den Männern Sperma ab und injiziert es in die Frauen. Geschlechtsverkehr ist nicht erwünscht, eine versuchte Vergewaltigung endet in einer tödlichen Prügelei. Zur Triebabfuhr gibt es eine »Fuckbox«, einen Raum von der Größe einer Duschkabine, mit verschiedenen Sexspielzeugen.
Das Raumschiff ist karg wie eine Jugendherberge. Privatsphäre existiert nicht, die Besatzung schläft in Stockbetten, ein überwachsener Garten liefert gelegentlich frisches Gemüse. Dibs nutzt ein kleines Sprechzimmer für die medizinische Behandlung. Dort hütet sie auch einen Brutkasten für die Babys, die sie aufzuziehen versucht. Der Kapitän muss jeden Tag einen Bericht in den Computer tippen, als Belohnung wird das Lebenserhaltungssystem für 24 weitere Stunden freigeschaltet. Zwischen den Menschen herrscht latentes Misstrauen, die ausgelebten Obsessionen der Ärztin bestimmen das Leben an Bord. Sie will Liebe, Verlangen und Fortpflanzung strikt trennen. Gefühle unterdrückt sie mit Medikamenten im Trinkwasser, Verlangen soll in der »Fuckbox« abreagiert werden. Einige Embryonen wachsen im Brutkasten heran, aber sie sterben alle. Nur Monte entzieht sich Dibs konsequent. Irgendwann betäubt sie ihn, um ihm Sperma abzunehmen. Sein Kind überlebt. Nach und nach stirbt die Besatzung, teils gewaltsam, teils auf natürliche Weise. Irgendwann sind nur noch Monte und seine Tochter Willow übrig. Bedingungsloses Vertrauen und Liebe ziehen in das Leben an Bord ein. Willow wächst heran, sie bekommt ihre erste Blutung. Die Erde kennt sie nur aus Filmkonserven. Auch Monte hat seine Obsessionen, nur hat er gelernt, sie zu beherrschen. In einer unwirklich erscheinenden Szene begegnen die beiden einem anderen Raumschiff, das Montes größte Versuchung in sich trägt. Er widersteht.
Der Film zeigt zwei Schwarze Löcher, jeweils am Ende der beiden Handlungsebenen. Eines zeigt sich als drohender fahlweißer Schlund, das Zweite wächst zur majestätischen goldenen Erscheinung heran. Das Erste zerfetzt ein Besatzungsmitglied, das buchstäblich mordet, um ihm nahezukommen. Zum Letzteren machen sich Vater und Tochter am Ende des Films auf den Weg. Willow ist überzeugt davon, dass es ihnen nichts anhaben kann. Seine Dichte sei zu gering, sagt sie sinngemäß. Der Film ist nur der Form nach Sciencefiction. Technisch stimmt so gut wie nichts. Der als Raumschiff verkleidete Wohncontainer könnte die Menschen im Vakuum keine Woche am Leben erhalten. Für eine jahrelange Beschleunigung mit 1 g bräuchte man gigantische Mengen Treibstoff, aber das Raumschiff hat nicht einmal einen erkennbaren Tank. Die Aussicht nach vorne bei nahezu Lichtgeschwindigkeit ist nicht richtig dargestellt. Die beiden Shuttles an Bord sind so roh hergestellt, dass sie keinesfalls flugtüchtig wären. Die ausgesetzten Leichen schweben dekorativ langsam davon, aber wenn das Raumschiff tatsächlich konstant beschleunigt, würden sie nach hinten zurückfallen. Aber darum geht es nicht. Der Film stellt in einer absichtlich artifiziellen Binnenwelt zwei Lebensweisen gegeneinander. Die erste strahlt tödliche Kälte aus, die zweite ist von Vertrauen und Liebe getragen. Und selbst die am stärksten komprimierte Materie im Universum ist vielleicht nicht dicht genug, um ein wirklich festes Band von Liebe und Vertrauen zu zerreißen. Das ist schon meisterhaft erzählt und gespielt; wer aber einen echten Sciencefiction-Film erwartet, wird vermutlich enttäuscht sein.
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