Biodiversität: Invasive Arten: Verlust an Biodiversität statt Artenvielfalt
Kaninchen, die sich unkontrolliert über den australischen Kontinent ausbreiten und dabei heimische Beuteltiere verdrängen; versehentlich eingeschleppte Schlangen, die die Vogelpopulation auf der Insel Guam vernichten und damit das gesamte Ökosystem nachhaltig schädigen; Amerikanische Grauhörnchen, die Europäische Eichhörnchen von der Bildfläche zu verdrängen drohen: Wenn Tiere oder Pflanzen über Kontinente hinweg umgesiedelt werden, dient dies nicht immer der Artenvielfalt, sondern kann der Biodiversität im Gegenteil schaden. Denn eingeschleppte Arten können sich unkontrolliert vermehren, wenn sie an ihrem neuen Standort keine Feinde haben. Und sie können heimische Spezies verdrängen, wenn sie ihnen überlegen sind. Oder sie bringen Parasiten und Krankheitserreger mit sich, denen die angestammte Natur nichts entgegenzusetzen hat.
»Invasive Arten«, ob unabsichtlich eingeschleppt oder bewusst eingeführt, zählen zu den größten Gefahren für die Biodiversität. In der EU beispielsweise sind derzeit allein 37 »invasive gebietsfremde Arten von unionsweiter Bedeutung« gelistet. Wie solche Spezies zum Problem werden, zeigt das Erklärvideo der California Academy of Sciences mittels White-Board-Animationen.
Leider beschränkt sich der 2014 veröffentlichte Beitrag darauf, allgemein bekanntes Wissen wiederzugeben. Schon damals wäre mehr zu erzählen gewesen, mittlerweile hat er dringend ein Update nötig. So hat erst unlängst ein internationales Forscherteam überraschende Erkenntnisse zur Historie der biologischen Invasion veröffentlicht. Die Wissenschaftler stellten fest, dass eingeschleppte Spezies nicht allein das Erbe unserer unachtsamen Vorfahren sind.
Vielmehr begann das bewusste Umsiedeln von Tieren und Pflanzen bereits vor Jahrhunderten. Mit Sicherheit lässt es sich bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgen, wie die Forscher 2017 in der Fachpublikation »Nature Communications« schrieben. Prominentes Beispiel ist die Kartoffel, die aus Europa kaum noch wegzudenken ist, aber erst zu jener Zeit hierherkam. Doch während anfangs vielleicht zehn Arten pro Jahr einen neuen Lebensraum eroberten, nahm die durch Menschen bedingte Ausbreitung von Arten an neuen Standorten im 18. Jahrhundert so richtig Fahrt auf und hält bis heute an.
Anders als bislang angenommen flacht die Rate, mit der Tiere und Pflanzen an neuen Standorten eingeführt werden, nämlich nicht ab. Im Gegenteil: Wie das Forscherteam berichtete, hat der Mensch seit dem Zweiten Weltkrieg sogar immer mehr Spezies über die Kontinente hinweg verschleppt. Die meisten zugewanderten Arten wurden zwischen 1970 und 2014 erstmals an ihrem neuen Standort beschrieben. Demnach waren auch Maßnahmen, um die Verbreitung eingeschleppter Organismen einzudämmen, bislang nicht effektiv genug.
Doch damit nicht genug. Ökologen vom Berliner Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei haben 2016 festgestellt, dass die in Europa schädlichsten invasiven Arten auf besonders vielen unterschiedlichen Pfaden auf den Kontinent gelangen und sich ausbreiten. Das unterstreicht, wie schwierig es ist, eine einmal eingeschleppte, invasive Art wieder loszuwerden. Denn es reicht ja nicht, einen Zuwanderungsweg zu identifizieren und abzuriegeln.
Leider verliert sich das Video über weite Strecken in der etwas langatmigen Definition von Begriffen. Doch Geduld lohnt sich: Gerade zum Schluss wartet der Clip noch mit einer kleinen Überraschung auf und vollzieht einen ebenso ungewöhnlichen wie wichtigen Perspektivwechsel. Während die Debatte um eingeführte Arten im Normalfall nur um Pflanzen und Tiere kreist, beschreibt der Film auch den Menschen als invasive Art – als diejenige gar mit dem größten Gefährdungspotenzial. Denn Homo sapiens bewegt sich nicht nur über den gesamten Planeten, sondern greift auch offensiv in die Natur ein und beeinflusst die Biodiversität wie keine andere Spezies.
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