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Talk: Kohärenz oder Kollaps?

Die Quantenmechanik gibt bis heute philosophische Denkrätsel auf. Denn die Vorgänge in der Quantenwelt scheinen der für uns jederzeit und überall wahrnehmbaren Realität im Makrokosmos zu widersprechen. Mit dem Quantenphysiker Markus Arndt talkt Susanne Päch vor allem über die erkenntnistheoretischen Hintergründe von Theorie und Experiment.
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Kohärenz oder Kollaps?

Veröffentlicht am: 03.03.2015

Laufzeit: 0:17:43

Sprache: deutsch

Hyperraum TV ist ein von der Medienwissenschaftlerin und Wissenschaftshistorikerin Susanne Päch betriebener Spartensender für Wissenschaft und Technologie.

Als der Österreichische Physiker Erwin Schrödinger die Quantenmechanik mit der nach ihm benannten Gleichung in eine mathematische Form goss, führte er eine Wellenfunktion ein, die sämtliche Informationen über den Zustand eines "reinen", von der Umwelt isolierten Quantensystems enthält. Die Wellengleichung muss daher, wie nüchterne Experimentatoren sagen, "zwangsläufig zu Eigenschaften führen, die der Alltagserfahrung zu widersprechen scheinen, da sie etwas beschreibt, das sich im Alltag gegenseitig ausschließt." Quantenphänomene sind bis heute experimentell tatsächlich nur in solchen isolierten Systemen nachweisbar, also dann, wenn Materie von der Wechselwirkung mit der Umgebung entkoppelt ist: keine Materie, keine Felder – im reinen Nichts also.

Wie aber passt diese mathematische Beschreibung durch delokaliserte Wellen mit der beobachteten Wirklichkeit des klassischen Alltags zusammen, in der die Dinge einen sehr wohl definierten Ort zu scheinen haben? Diese spannende Frage fasziniert systematische, wissenschaftliche und philosophische Denker bis heute. Und sie befasste Quantenphysiker natürlich schon direkt nach der Veröffentlichung der Theorie, denn ihre weitreichenden Konsequenzen waren sofort klar: die Quantenphysik rüttelt an dem, was wir Realität nennen! Max Born, wie Schrödinger Nobelpreisträger für Physik, rückte die Bedeutung der Wellenfunktion ψ in Richtung einer erkenntnistheoretischen Dimension. Er nahm an, dass sie selbst nicht beobachtbar sei, und nur ihr Quadrat |ψ|^2 als "Maß für die Wahrscheinlichkeit einer Beobachtung" Relevanz hat. Dieses Modell wurde von dem dänischen Nobelpreisträger Niels Bohr philosophisch weiter ausformuliert. Er interpretierte die Wellenfunktion in seiner schriftlich nie vollständig fixierten "Kopenhagener Deutung der Quantenphysik" als ein ausschließlich erkenntnistheoretisches Modell. Damit wurde der Wellenfunktion eine zugrunde liegende Realität prinzipiell abgesprochen; in dieser Logik kann sie daher zwangsläufig auch nicht unabhängig vom Beobachter beschreibbar sein. In gewisser Weise löste diese Vorstellung das Konfliktpotenzial auf die „einfachste" denkbare Weise – nämlich dadurch, dass sie der Wellenfunktion als rein "mathematischem Konstrukt" den Boden der realen Existenz entzog – allerdings mit der Konsequenz, dass sie dafür das, was wir als Realität bezeichnen, ganz grundsätzlich in Frage stellte. Dennoch galt die "Kopenhagener Deutung" lange Zeit als weitgehend akzeptiert, da bessere Erklärungsmodelle fehlten.

In Experimenten wurden die Quantenphänomene in Quarantäne immer besser messbar – und das wiederum schuf auch den Nährboden für alternative Erklärungsversuche, die die Quantenwelt in die Wirklichkeit integrierten. Die Dekohärenz-Theorie hat die Schrödinger-Gleichung eines Quantenobjekts inzwischen auf seine größere Umgebung erweitert und kann uns theoretisch erklären, warum Quantenzustände zwar überall vorhanden sind, aber derzeit nur in Isolation beobachtbar werden: Aufgrund der "Quantenverschränkung" mit der Umgebung werden die empfindlichen Phasen der Wellenfunktion an so viele Teilsysteme gekoppelt, dass die Phänomene mit unseren Messmethoden einfach nicht mehr nachweisbar sind.

Die so schwer verständlichen Überlagerungszustände der Quantenphysik als zugrunde liegendes Fundament unserer Wirklichkeit werden von einer kleinen Gruppe theoretischer Physiker nicht mehr nur als "Wahrscheinlichkeiten", sondern sogar als real existierende parallele Welten interpretiert, das Modell der "Multiversen"; doch dieser theoretische Ansatz ist prinzipiell kaum falsifizierbar und daher aus Sicht der exakten Wissenschaft derzeit wenig attraktiv. Für Meinung ist bei der Multiversen-Debatte viel Platz, experimentelle Forschungsansätze bietet sie heute wenig. Das ist anders bei Theorien, deren Vertreter dem Lager der "Kollaps-Modelle" angehören. Sie modifizieren die Dekohärenz-Theorie und sprechen den Quantenphänomenen nur einen begrenzten Wirkungsbereich zu. Sie sollen nur unterhalb einer mikroskopischen Skala und für kurze Zeiten bestehen. Durchaus auf der sicheren Grundlage von Schrödingers Wellengleichung berechnen diese Theoretiker, dass die Quantenwelt spontan zusammenbricht: beispielsweise durch Effekte der Gravitation. Einige machen dafür gar eine spezifische Art dunkler Materie verantwortlich. Die makroskopisch beobachtbare Wirklichkeit ist damit doch so existent, wie von uns beobachtet – wenn auch mit einem massiven Eingriff in die heute gültige Physik, da diese Kollaps-Modelle den Energie-Erhaltungssatz verletzen. Sie können experimentell schon untersucht werden, wobei allerdings für einen endgültigen Nachweis oder ihre Falsifikation die dafür erforderliche Technologie noch weiter entwickelt werden muss. Quantenphysiker wie Markus Arndt an der Uni Wien sind mit ihren Experimentalanlagen, die wir bereits in unserer Reportage "Quanten-Zauberei" gezeigt haben, auf diesem Weg forschend unterwegs.

Möglicherweise ist der Mensch als ein in der makroskopischen Welt "verortetes" Wesen mit seinem darauf ausgerichteten Verstand und der zur Verfügung stehenden, beschränkten Sensorik gar nicht dazu befähigt, die Vorgänge außerhalb unsers Wahrnehmungsbereiches verstehbar nachvollziehen zu können. Markus Arndt jedenfalls, der sich seit mehr als zwei Jahrzehnten experimentell mit der Quantenphysik befasst, ist sich der Grenzen des menschlichen Verständnisses ziemlich bewusst. Für ihn gilt: Unsere Alltagsvorstellungen sind wissenschaftlich betrachtet "einfach falsch! Wir müssen verstehen lernen, dass die Welt nicht so ist, wie sie uns erscheint!" Deshalb sind für ihn die aus den Experimenten erwachsenden Erkenntnisse darüber, wie sich die Welt im Kleinsten verhält, bedeutungsvoller als der Versuch, diese Welt auf unsere beobachtbare Realität abzubilden und so wahrhaft "verstehen" zu wollen.

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