Tierversuche: Lassen sich Tierexperimente und Ethik vereinbaren?
SciViews: Frau Professor Wolf, Sie kennen die Videoserie der Leibniz-Gemeinschaft, aus der wir hier einen Film vorstellen. Wie sehen Sie Tierversuche aus ethischer Sicht?
Wolf: Anders als radikale Tierversuchsgegner lehne ich Tierversuche nicht grundsätzlich ab. Solche Versuche sind durchaus zulässig, wenn sie kein Leiden, auch nicht Stress oder Angst verursachen. So gibt es etwa in der Verhaltensforschung Experimente, bei denen man Tiere nur beobachtet. Wenn Tieren hingegen Leiden zugefügt wird, wird von Befürwortern meist mit einer Güterabwägung argumentiert. Auch die in dem ausgewählten Film dargestellte Infektionsbiologin und Tierärztin verweist auf den Nutzen für den Menschen in der medizinischen Forschung. Das halte ich aber nicht für legitim.
Warum nicht?
Tiere sind nach allgemeiner Auffassung leidensfähig und gehören deshalb zu denjenigen Wesen, auf die wir moralische Rücksicht nehmen müssen. Beim Menschen haben wir das klare ethische Modell, dass die Rücksicht nicht durch Nutzenüberlegungen aufgehoben werden kann, – dass der Zweck nicht die Mittel heiligt. Sie können nicht einfach Kinder nehmen und mit ihnen schmerzhafte Versuche durchführen, auch wenn das die Forschung voranbringen sollte. Und wenn wir beanspruchen, die Tiere in die Moral einzubeziehen, dann müsste diese Haltung auch für sie gelten.
Was halten Sie konkret von dem Video der Leibniz-Gemeinschaft ?
Ich finde es positiv, dass die porträtierte Tierärztin und Infektionsbiologin grundsätzlich ethisches Bewusstsein zeigt. Allerdings kann ich sie nicht verstehen, wenn sie sagt, in dem Moment, wo sie das Tier mit einem Pilz infiziert, sei sie neutrale Forscherin – davor und danach aber Tierärztin, der das Wohl des Tieres am Herzen liege.
Das Video ist auch auf der Website tierversuche-verstehen.de zu sehen, auf der neben der Leibniz-Gemeinschaft auch andere Institutionen die Öffentlichkeit mit einer Reihe von Videos über Tierversuche aufklären wollen. Wie schätzen Sie diese Initiative ein?
Zunächst einmal ist es sehr wichtig, dass Forscher nach vielen Jahren der Intransparenz an die Öffentlichkeit gehen und die Menschen darüber informieren, wie Tierversuche ablaufen. Die Öffentlichkeit denkt gerne, Tierversuche wären generell grauenvoll. Dabei sind gerade Forschungen an Primaten selten so schlimm, wie sie von radikalen Tierrechtsorganisationen vielfach dargestellt werden. Allerdings gibt es insbesondere in der Pharmaforschung Fragestellungen, die man gar nicht untersuchen kann, ohne Tieren Schmerzen zuzufügen. Und solche Versuche halte ich für moralisch falsch.
Wo sehen Sie Alternativen?
Es wird immer wieder behauptet, man könne nicht ohne Tierversuche auskommen. Aber das ist umstritten. Es gibt mittlerweile viele alternative Methoden, die zum Teil auch auf tierversuche-verstehen.de dargestellt werden. Dazu gehören Zellkulturen, die im Labor gezüchtet werden, und sogar Bioreaktoren, in denen man Zellkulturen in ein Gesamtsystem einbettet, ähnlich wie in einem Organismus. Damit kann man schon heute teilweise manche Fragestellungen besser erforschen als im Tiermodell. Dieser Bereich muss allerdings noch viel stärker als heutzutage gefördert werden.
Das Interview führte Christian Wolf.
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