Gravitationswellen: Mit Bohrmaschine, Hantel und elastischer "Raumzeit"
Jahrelang hatte man an den LIGO-Observatorien ins All hinaus gelauscht und geduldig auf Gravitationswellen gewartet. Die an zwei Standorten in den USA – im nordwestlichen Washington und im südöstlichen Staat Louisiana – errichteten gewaltigen Interferometer können feststellen, ob sich die Längen ihrer kilometerlangen Arme minimal verändern. Das ist etwa dann der Fall, wenn zwei weit entfernte Schwarze Löcher miteinander verschmelzen und dabei Gravitationswellen ins All hinausschicken. Entlang ihres Wegs verformen diese den Raum – ein bisschen ist das so, als ob Wasserwellen die Oberfläche eines Sees kräuseln – und damit auch die Gegenstände, die sich darin befinden. Genau solche Verformungen können die Observatorien detektieren, sobald die Wellen die Erde erreichen.
Im September 2015 war es dann so weit: Erstmals konnte man ein solches Ereignis auf der Erde registrieren. Für diese Leistung ging im Dezember 2017 der Nobelpreis an Rainer Weiss, Barry C. Barish und Kip S. Thorne, die Väter des LIGO-Experiments.
Im Internet verbreiteten sich daraufhin rasch Animationen der verschmelzenden schwarzen Löcher. Steve Mould, ein britischer Physiker und für seine anschaulichen Experimente bekannter YouTuber, betrachtete sie mit Kennerblick und fragte sich: Wo genau beginnen eigentlich die Gravitationswellen, die von den einander umkreisenden schwarzen Löchern spiralförmig nach außen laufen? Doch dieser wichtigen Frage weichen die meisten Animationen und Bilder aus.
Mould baute also kurzerhand ein Experiment im Wohnzimmer auf. Ein elastisches Tuch, das unsere Raumzeit darstellt, und darüber eine Bohrmaschine, an der eine Art Hantel angebracht ist. Sobald diese zu rotieren beginnt und bei jeder Drehung das elastische Tuch berührt, entstehen kreisförmig nach außen laufende Wellen.
Allerdings nur dann, wenn bestimmte Randbedingungen erfüllt sind, die analog zu den physikalischen Randbedingungen der kosmologischen Gravitationswellen sind. Beispielsweise muss das Tuch eine bestimmte Spannung aufweisen; das kosmologische Analog dazu ist die "Elastizität" der Raumzeit. Darüber hinaus muss die Hantel mit einer bestimmten Frequenz rotieren. Und schließlich muss die Kamera während jeder Umdrehung und zum jeweils genau passenden Zeitpunkt ein Bild schießen, um das Phänomen sichtbar zu machen.
"Noch nie hat jemand Gravitationswellen so realistisch und anschaulich vorgeführt", lobt Matthias Bartelmann, Astrophysiker an der Universität Heidelberg, die Arbeit von Mould. Die rotierende Hantel, so der Professor, erzeuge genau dasjenige Kraftfeld – das so genannte Quadrupolmoment –, das bei der Entstehung von Gravitationswellen eine wichtige Rolle spielt. "Steve Mould verwendet tatsächlich einen quadrupolaren Antrieb für die Wellen und kalibriert die Aufnahmen der Kamera anhand der Drehzahl seines Quadrupols und der Elastizität seiner Raumzeit."
Dass Forscher mit dem LIGO-Experiment überhaupt Gravitationswellen nachweisen konnten, war keineswegs von Anfang an klar. Denn die winzigen Verzerrungen in der Raumzeit, die im Detektor ankommen, besitzen in etwa die Größe eines Tausendstel Protonen-Durchmessers. Da ist Präzision gefragt. Zuvor war nicht einmal sicher, ob Gravitationswellen überhaupt existieren: Die newtonsche Physik ging noch davon aus, dass Veränderungen der Schwerkraft, wie sie beim Verschmelzen Schwarzer Löcher auftreten, sich instantan ausbreiten, also noch im selben Augenblick an beliebigen anderen Orten im Universum "spürbar" werden. Einstein hingegen postulierte – wie man nun weiß: zu Recht –, dass sie sich wellenförmig und mit endlicher Geschwindigkeit fortbewegen.
Eine zentrale Frage bleibt dennoch offen. Massen üben dadurch Gravitation aus, dass ein von ihnen ausgehendes Gravitationsfeld andere Massen in ihre Richtung beschleunigt. Doch woraus besteht dieses Feld? Möglicherweise aus winzigen Teilchen, den Gravitonen? Solche Teilchen sind bislang pure Spekulation, allerdings eine durchaus plausible: Neben der Gravitation ist auch der Elektromagnetismus eine Grundkraft der Natur – und letzterer wird tatsächlich über Teilchen vermittelt, die so genannten Photonen.
LIGO taugt zwar nicht zum Nachweis von Gravitonen, kann aber zumindest Ober- und Untergrenzen für ihre Masse liefern. Das ist interessant für Theoretiker: Die meisten ihrer Modelle gehen davon aus, dass Gravitonen (wie auch Photonen) eine Ruhemasse von exakt Null besitzen. Die Wirkung beider Teilchenarten erstreckt sich nämlich ins Unendliche – und das gelingt nach bisherigem Wissen nur masselosen Objekten.
Derzeit gehen die Wissenschaftler übrigens davon aus, dass die Masse des Gravitons kleiner als 7,7*10-23 Elektronvolt ist (Teilchenphysiker geben Massen in Energieeinheiten an). Zum Vergleich: Für das Neutrino, das als fast masselos gilt, liegt die Obergrenze bei 2,2 Elektronvolt. Anders gesagt: Die Massen von Graviton und Neutrino verhalten sich ungefähr so zueinander wie die Masse eines Sandkorns zu der der gesamten Erde.
Trotzdem ist die Existenz des Gravitons keineswegs ausgemacht. Gravitationswellen, die einerseits die Raumzeit krümmen, zugleich aber die Eigenschaften von Teilchen aufweisen – wie das funktionieren soll, können sich bislang selbst Physiker nicht vorstellen. Wie schön, dass wir jetzt immerhin vom Wellenaspekt der Schwerkraft ein anschauliches Bild bekommen haben.
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