Quanten-Zauberei: Physiker delokalisieren Moleküle in Materiewellen-Interferometern
Wien gilt heute als ein internationales Zentrum der experimentellen Quantenphysik. Die Fakultät der Physik hat große Tradition; hier lehrten Größen wie Ludwig Boltzmann oder Erwin Schrödinger, ein Vater der Quantentheorie. Mit dem Physiker Anton Zeilinger hat sie Weltruhm in experimenteller Quantenphysik erhalten. Markus Arndt war bei ihm als Post-Doc tätig, bevor er ebenfalls in Wien eine Professur erhielt. Sein Forschungsfeld ist die Delokalisierung von Materie, für die er mit einer Gruppe von Jungforschern neuartige Materiewellen-Interferometer entwickelt.
In der strikten Isolation eines Hochvakuums offenbart die Quantenwelt, dass Materie nicht nur aus Teilchen besteht, sondern gleichzeitig ein Wellenphänomen ist. In den Versuchsanordnungen nutzen die Forscher um Arndt Werner Heisenbergs "Unschärfe-Relation". Sie besagt, dass man in der Quantenwelt von zusammenhängenden physikalischen Eigenschaften immer nur eine Größe – beispielsweise den Ort oder aber den Impuls eines Teilchens – eindeutig bestimmen kann. Misst man eine, wird die andere "unscharf": Sie wird zu einer nur statistisch fassbaren Größe. An einem sehr feinen Gitter mit Öffnungen in der Größe von zehntausendstel Millimetern zwingt der Experimentator jedes Molekül im Gitter an einen präzisen Ort. Dadurch wird der zugehörige Impuls in gewissem Grad prinzipiell "unbestimmt" – hat keine wohldefinierte Realität mehr: Jedes Teilchen verhält sich dann so, als ob es in mehrere Richtungen zugleich fliegen würde. Das beweist der Experimentator, indem er die an verschiedenen "virtuellen" Orten delokalisierten Moleküle nun durch ein zweites Nanogitter fliegen lässt. Dahinter entstehen durch die Wellennatur der delokalisierten Teilchen: die für Licht schon seit zwei Jahrhunderten bekannten Interferenzmuster.
Die Wiener Wissenschaftler entwickeln bereits neue Experimentalanordnungen, mit denen noch deutlich größere Moleküle und Nanoteilchen delokalisiert werden sollen. Ob es eine Massengrenze der Quantenphysik gibt, ist eine Frage, die heute theoretisch noch nicht eindeutig geklärt ist. Die Quantenwelt könnte "grenzenlos" sein – unter allem liegen, was wir Wirklichkeit nennen. Dann stellt sich die Frage: Warum sehen wir von solchen Quantenphänomenen nichts in der von uns wahrnehmbaren Realität? Die Dekohärenz-Theorie rechnet mit einer erweiterten Schrödinger-Gleichung vor, warum das so ist: Kein Objekt ist je perfekt isoliert. In der Alltagsumgebung wechselwirken Quanten laufend miteinander, etwa mit Molekülen der Luft. Der Physiker bezeichnet dieses Phänomen als "Quantenverschränkung". Quantenphysikalische Phänomene sind demnach zwar überall in unserer Welt vorhanden, aber im Alltag nicht mehr zu beobachten, weil sie sich in zu viele Wechselwirkungspartner verlieren. Neben der Dekohärenz als inzwischen etabliertem Teil der Quantenphysik, so vermuten manche Wissenschaftler, könnte es weitere, bislang noch unbekannte Effekte in der Quantendynamik geben. Es geht dabei um sehr massive Objekte wie Viren und Bakterien. Es wäre möglich, dass deren Quantendynamik durch bisher unbekannte Teilchen oder Felder – vielleicht auch durch die Gravitation – verändert wird. An ersten Konzeptionen für den Nachweis besonders großer Moleküle in Experimentalanordnungen, die die Kollapstheorie beeinflussen, arbeitet das Team in Wien bereits. Bis diese Versuche zu "harten" wissenschaftlichen Ergebnissen führen, wird es aber noch etliche Jahre dauern.
Susanne Päch berichtet in ihrer Reportage über die Experimente von Markus Arndt und seinen Post-Docs in Wien – und wirft mit dem Quantenforscher auch einen kurzen Blick auf die philosophischen Implikationen dieser Theorie, für die Erkenntnistheoretiker seit vielen Jahrzehnten nach einer Erklärung suchen. Ein Bonus-Talk mit Markus Arndt über die Quantenexperimente zur Delokalisierung ist in unserem YouTube-Kanal zu sehen, das Gespräch mit ihm über die theoretischen Grundlagen und deren philosophische Interpretationen senden wir in Kürze.
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