Quantenphysik: Tot, krank und lebendig?
Es ist vermutlich das bekannteste Gedankenexperiment der modernen Physik. Der Theoretiker Erwin Schrödinger illustrierte am Beispiel einer armseligen Katze die Eigenheiten der Quantenphysik, deren Theorie er selbst mitentwickelt hatte und deren Konsequenzen ihm zugleich zutiefst suspekt waren. Bei Schrödingers Gedankenexperiment ist eine Katze in einer völlig vom Rest des Universums abgeriegelten Kiste eingeschlossen. Ein Quantenereignis kann nun einen Mechanismus auslösen, der die Katze tötet oder eben nicht. Da Quanten auch in eigenartigen Überlagerungszuständen vorliegen können, würde sich nach Schrödinger diese Superposition ebenso auf die Katze übertragen: Sie wäre dann nicht nur tot oder lebendig, sondern beides zugleich. Nach der Quantenphysik entscheidet sich erst bei einer Beobachtung, welcher Quantenzustand vorliegt. Auf die Katze übertragen heißt das: Erst beim Öffnen der Kiste nimmt die Katze den Zustand »tot« oder den Zustand »lebendig« an, vorher ist sie beides zugleich. Nun lässt sich kein makroskopisches Objekt, und auch keine Katze, perfekt von der Umwelt isolieren. Ständig treten so viele Wechselwirkungen mit der Umgebung auf, dass eine Katze nicht in einen solchen Überlagerungszustand geraten kann. Dennoch illustriert dieses Gedankenexperiment wunderbar, wie merkwürdig und fern der menschlichen Vorstellungswelt die Geschehnisse im Mikrokosmos sind.
Dieses Video gibt eine kurze, gut erzählte und wissenschaftlich völlig korrekte Einführung in dieses Thema, das künftig immer wichtiger werden wird: Denn Quantentechnologien sind auf dem Vormarsch. Insbesondere Quantencomputer sollen künftig große Innovationssprünge in der Materialforschung, Chemie und Pharmazie ermöglichen. Sie beruhen auf den quantentypischen Überlagerungszuständen, die Schrödinger selbst noch so merkwürdig erschienen, dass er sich später sogar völlig von der Quantenphysik abwandte. Zahlreiche neue Experimente hingegen belegen die Gesetzmäßigkeiten der Quantenphysik und ermöglichen eine immer bessere Kontrolle von Quantenzuständen. In jüngerer Vergangenheit hat es nun ein Experiment in einige Medien geschafft, bei dem die Forscher angeblich den Übergang von einem Quantenzustand zu einem anderen sogar vorhersagen und umkehren konnten. Anders gesprochen: Wenn man minimale Änderungen am Verhalten der Katze bemerkt, kann man in das Quantensystem eingreifen und dafür sorgen, dass sie den Zustand »tot« vermeidet. In den Medien wurde das folglich als »Rettung für Schrödingers Katze« aufgegriffen.
Die Krux dabei: Bei diesem Experiment handelt es sich nicht um einen einfachen, elementaren Quantensprung, wie ihn die Quantentheorie als Lehrbuchbeispiel beschreibt. Stattdessen haben die Forscher ein System ersonnen, bei dem drei Zustände auftreten. Mit Hilfe einer kontinuierlichen externen Anregungsquelle per Mikrowellengenerator lassen sie das System zwischen Grundzustand und einem von zwei Anregungszuständen oszillieren, wobei dieses Verhalten permanent mit einer zweiten Mikrowellenquelle überwacht wird. Der Übergang zur Oszillation zwischen Grundzustand und zweitem angeregten Zustand kündigt sich nun kurzzeitig vorher an und lässt sich durch geschickte Manipulation dann verhindern. Ins Gedankenexperiment übersetzt: Die Katze kann außer sterben auch krank werden. Wenn sich bei den erzwungenen Sprüngen zwischen »lebendig« und »krank« (es könnte auch »weißes Fell« und »graues Fell« sein) nun Anzeichen zum Wechsel zwischen »lebendig« und »tot« (oder »schwarzes Fell«) zeigen, lässt sich dieser Übergang verhindern. Das ist nun einerseits ein beeindruckendes Beispiel für moderne Quantenkontrolle, die insbesondere beim Bau von Quantencomputern immer wichtiger wird. Es ist aber andererseits keine Widerlegung von Schrödingers Gedankenexperiment zu den Grundlagen der Quantenphysik. Zwar ist sowohl beim klassischen Gedankenexperiment als auch bei diesem Experiment das langfristige Verhalten unvorhersehbar. Aber bei Schrödingers Gedankenexperiment spielt die unüberwachte Spontaneität von Quantenereignissen eine zentrale Rolle. Die Ankündigung in einigen Medien, die Eigenheiten des Quantengeschehens ließen sich mit derartigen Methoden vermeiden, sind also zu weit gegriffen. Offensichtlich haben sich Journalisten von der sehr vollmundigen Pressemitteilung der Universität auf den Holzweg leiten lassen, die zwar keine falschen fachlichen Angaben macht, aber zu einer Überinterpretation geradezu einlädt.
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