Raumfahrt: Raumfahrt: Partyballons und Raketen
Die NASA will noch vor 2040 Menschen auf den Mars bringen. Doch bis es so weit ist, muss sie ein großes Problem lösen: Wie setzt man ein bemanntes Landemodul am besten auf dem Roten Planeten ab? Die Marsatmosphäre vereinigt aus der Sicht der Raumfahrtingenieure gleich mehrere unangenehme Eigenschaften. Sie ist so genug, dass sich die Sonde beim Eintritt mit der mehrfachen Geschwindigkeit einer Gewehrkugel schon in großer Höhe sehr stark aufheizt. Ohne einen Hitzeschild geht es also nicht. Auf der anderen Seite ist sie so dünn, dass nur ein gigantisch großer Fallschirm den freien Fall der Sonde einigermaßen abbremsen kann. Die bisherigen Landemissionen kamen deshalb nicht ohne Bremstriebwerke aus. Je schwerer die Landeeinheit, desto mehr Treibstoff brauchen die Bremstriebwerke. Ein bemanntes Raumschiff von 40 Tonnen Masse würde für eine weiche Landung bereits 60 Tonnen Treibstoff benötigen, wie die NASA berechnet hat.
Um diesem Dilemma zu entkommen, haben sich ihre Ingenieure eine neuartige und kreative Lösung ausgedacht, die im Video auf dem YouTube-Kanal der NASA vorgestellt wird. Vielleicht, so haben sich die Wissenschaftler überlegt, wäre es einfacher, wenn man den Hitzeschild wesentlich größer gestaltet. Dann würde der Bremseffekt schon bei einer sehr viel dünneren Atmosphäre einsetzen, und die Verdichtung und Erwärmung würde sich auf eine größere Fläche verteilen.
Damit war die Idee des Hypersonic Inflatable Aerodynamic Decelerator (HIAC) geboren. Übersetzt bedeutet das etwa: aufblasbares aerodynamisches Überschall-Bremsmodul, kurz: Bremskissen. Es sieht aus wie eine aus mehreren konzentrischen Wülsten zusammengesetzte runde Luftmatratze, auf deren Mitte das eigentliche Raumschiff in die Atmosphäre reitet. Der HIAC vergrößert die Stirnfläche des Eintrittskörpers um den Faktor 50 oder mehr. Trotzdem dürfte seine Oberfläche immer noch eine Temperatur erreichen, wie sie im Inneren einer Kerzenflamme herrscht.
Deshalb wird der HIAC aus einem sehr stabilen, hitzebeständigen Gewebe gefertigt und mit einem zusätzlichen Schutzanstrich versehen. So kann er auch ein schweres Landemodul stark abbremsen, ohne dabei zu verbrennen. Aber die eigentliche Landung benötigt immer noch leistungsfähige Bremsraketen. Das HIAC spart Treibstoff und verschafft damit den Raumfahrtingenieuren mehr Spielraum beim Entwurf eines bemannten Landemoduls.
Das Video erklärt im ersten Teil die Vorteile des Systems und nimmt die Zuschauer im zweiten Teil mit in das Labor, das den Prototyp des HIAC baut und testet. Die NASA möchte das System im Jahr 2021 in einer niedrigen Erdumlaufbahn zum ersten Mal testen. Das Projekt trägt den Namen LOFTID (Low-Earth Orbit Flight Test of an Inflatable Decelerator). Erste Vorversuche mit einem abgespeckten System innerhalb der Erdatmosphäre in den Jahren 2014 und 2015 verliefen allerdings nur teilweise erfolgreich. Aber selbst wenn HIAC wie geplant funktioniert, wird er nicht unbedingt zum Einsatz kommen. Der bisherige Weg der Weltraumbehörde ist mit den Leichen viel versprechender Ideen gepflastert. Selbst das eigentlich zentrale Projekt einer bemannten Marslandung geistert seit Jahren wie eine Fata Morgana durch die Webseiten der NASA, ohne jemals konkrete Formen anzunehmen. Die ständig wechselnden politischen Vorgaben sind dabei sicherlich nicht hilfreich.
Die Pläne des privaten Weltraumunternehmens SpaceX für ein aufblasbares Bremskissen sind dagegen deutlich konkreter – und irdischer. Es lohnt sich an dieser Stelle, zunächst etwas weiter auszuholen: Das Unternehmen vermarktet die Rakete Falcon 9 und deren Schwerlastvariante Falcon Heavy. Der Eigentümer Elon Musk hat bereits 2003 erklärt, dass er alle Komponenten mehrfach verwenden will, um Kosten zu sparen. Er hat dieses Konzept konsequent verfolgt. Seit 2016 landet die Unterstufe entweder am Startpunkt oder auf einem speziellen Landeschiff vor der Küste und fliegt nach einer gründlichen Wartung erneut.
Die Oberstufe heil wieder auf den Boden zu bringen, stellt die Ingenieure allerdings vor deutlich größere Probleme. Anders als die Unterstufe fliegt sie mit der fest montierten Nutzlast bis in die Erdumlaufbahn. Dort setzt sie die Nutzlast ab und umkreist weiter die Erde. Genau genommen ist sie von da an nichts weiter als Weltraummüll. Deshalb zündet SpaceX ein letztes Mal das Triebwerk und bremst die Rakete so weit ab, dass sie wieder in die Erdatmosphäre eintritt und verglüht. Will man die Oberstufe heil zurückholen, müsste man sie aufrüsten, beispielsweise mit Landebeinen und einem Hitzeschild. Wenn das eigentlich für den Betrieb im Vakuum optimierte Triebwerk den Abstieg bremsen soll, braucht es Treibstoff, und zwar relativ viel. Das alles muss die Rakete zusätzlich in die Umlaufbahn tragen, und das ist ein Problem. Nur etwa zwei bis fünf Prozent des Startgewichts einer Rakete entfallen auf die Nutzlast. Jedes Kilogramm totes Gewicht verringert die Transportkapazität. Es lässt sich leicht ausrechnen, dass die notwendige Aufrüstung für die Rückholung der Oberstufe kaum noch Platz für Nutzlast lässt.
Also sind kreative Ideen gefragt. Und hier kommt das aufblasbare Bremsmodul ins Spiel. Es wäre nicht übermäßig schwer und würde die Raketenstufe sicher durch die obere Erdatmosphäre bringen. Elon Musk hat im April 2018 zwei kryptische Twitter-Nachrichten zu dem Thema abgesetzt. Man werde einen Partyballon einsetzen und die Oberstufe auf einer Hüpfburg aufsetzen, schrieb er.
Genaueres war seitdem nicht zu erfahren, aber man darf annehmen, dass die Landung etwa so abläuft: Die Oberstufe bremst in der Umlaufbahn und erreicht die obersten Ausläufer der Atmosphäre. Das Bremskissen wird mit Helium aufgeblasen und wirkt als Hitzeschild. Danach löst es sich von der Raketenstufe und fungiert als Heliumballon. Die Stufe segelt daran gemächlich zu Boden und landet weich auf einem riesigen Prallkissen.
Das hört sich ganz einfach an, hat aber einige Fallstricke. Die Rakete muss das Helium zum Füllen des Bremsmodul-Ballons in die Umlaufbahn mitschleppen. Das ist keine Kleinigkeit. Um die zu tragen, braucht man rund 700 Kilogramm Helium in einem voluminösen Druckbehälter. Auch das Bremsmodul selbst wiegt einige hundert Kilogramm. Und natürlich müssen all diese Komponenten irgendwo untergebracht werden. Es dürfte auch nicht einfach sein, die zurückgeholte Oberstufe zur Landezone zu dirigieren. Ballons driften mit dem Wind, und ihre genaue Flugbahn ist kaum vorhersehbar. SpaceX müsste den Ballon also steuerbar machen. Und schließlich ist die Oberstufe eine Superleichtkonstruktion, dafür konstruiert, starke Kräfte lediglich in Achsrichtung auszuhalten. Sie ist 13,8 hoch, fasst 92,7 Tonnen Treibstoff, wiegt aber nur 3,9 Tonnen. Selbst mit einer riesigen Hüpfburg als Prallkissen wird die Wandung der Oberstufe Schaden nehmen, wenn sie in einem ungünstigen Winkel auftrifft.
Allerdings hat Elon Musk bisher schon für viele Probleme unerwartete Lösungen gefunden. Es ist also durchaus denkbar, dass er in seine Raketen ein funktionierendes Bremsmodul einbaut, bevor die NASA auch nur ihre erste Testmission gestartet hat.
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