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Albert Einstein: Relativitätstheorie: Wie man ein Paradoxon per Guillotine löst

Passagiere eines mit nahezu Lichtgeschwindigkeit reisenden Zugs erleben einen Tunnel als verkürzt – ein ruhender Beobachter sieht hingegen einen verkürzten Zug. Wer hat recht? Mike Merrifield von der University of Nottingham stellt ein drastisches Experiment vor.
Relativity Paradox - Sixty Symbols

Veröffentlicht am: 04.03.2013

Laufzeit: 0:08:35

Sprache: englisch

Auf dem YouTube-Kanal Sixty Symbols zeigt der australische Filmemacher Brady Haran Interviews, die er für die University of Nottingham produziert.

In seiner Speziellen Relativitätstheorie zeigte Albert Einstein, dass Raum und Zeit relativ sind. Sie sind also keine absoluten Größen, keine Bühne, auf der sich das physikalische Leben abspielt, sondern höchst veränderlich. Zum Beispiel dann, wenn die Dinge in Bewegung geraten.

Dieser in Experimenten vielfach nachgewiesene Umstand führt unsere Intuition allerdings geradewegs aufs Glatteis. So auch im Fall des mit nahezu Lichtgeschwindigkeit reisenden Zuges, der in diesem Video auf einen Tunnel zurast. Für einen Beobachter, der von einer benachbarten Wiese aus das Geschehen verfolgt, erscheint der Zug aufgrund seiner hohen Geschwindigkeit verkürzt. Reisende an Bord widersprechen jedoch: Wir haben genauso viel Beinfreiheit wie zuvor! Stattdessen sehen sie den Tunnel verkürzt.

Wer hat Recht? Um diese Situation aufzuklären, lässt Michael Merrifield, Professor an der University of Nottingham, an beiden Tunnelausgängen zugleich zum richtigen Zeitpunkt die Guillotinen fallen – um möglichst drastisch zu klären: Passt der Zug in den Tunnel oder nicht? Spannend wird es, weil "sein" Tunnel nur genau so lang ist wie der verkürzte Zug.

Dass hinter Merrifields Lösung ein noch viel tieferes Paradox lauert, verrät er uns aber nicht. Stattdessen stellt er schlicht fest: Um das Rätsel zu lösen, muss man lediglich wissen, dass auch Gleichzeitigkeit relativ ist. Ereignisse, die einem ruhenden Beobachter gleichzeitig erscheinen, geschehen aus Sicht eines bewegten Beobachters nacheinander. Doch hat Merrifields Feststellung höchst folgenreiche Konsequenzen – insbesondere für die philosophische Theorie des so genannten Präsentismus, die unserer Alltagsintuition recht nahe steht.

Tatsächlich erleben wir das "Jetzt" als etwas Besonderes. Was "jetzt" ist, empfinden wir als realer. Hingegen scheint Vergangenes "nicht mehr" zu existieren und Zukünftiges "noch nicht". Dinosauriern sprechen wir die Existenz darum ebenso ab wie dem morgigen Tag.

Einsteins Relativität der Gleichzeitigkeit bringt die zutiefst menschliche Neigung, dem "Jetzt" einen besonderen Realitätsstatus zuzuschreiben, jedoch ins Wanken. Denn ihm zufolge existiert kein universelles "Jetzt". Abstrakter formuliert: Es existiert keine Hyperfläche der Gleichzeitigkeit in der Raumzeit, auf die sich alle Beobachter einigen könnten. Beharrten wir auf unserer Intuition, dass tatsächlich nur das "Jetzt" real ist, dann gäbe es keine eindeutige Realität – weil das "Jetzt" des einen Beobachters möglicherweise nicht das "Jetzt" des anderen ist.

Dies geht vielen Wissenschaftlern zu weit. Der Mathematiker und Logiker Kurt Gödel beispielsweise bemerkte: "Der Begriff der Realität kann nicht relativiert werden, ohne dass man seinen Sinn völlig zerstört." Wer Gödel, zugleich aber auch Einstein zustimmt, müsste allerdings auf den so vertrauten Präsentismus verzichten. Und künftig behaupten: Dinosaurier und der morgige Tag existieren ebenso wie der Bildschirm, auf den ich gerade schaue.

Guillotinen vor Tunneleingängen sind ganz offensichtlich nur ein kleinerer Teil der Probleme, vor die uns Einstein stellt. Mike Merrifield, please tell us more about special relativity!

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