Sciencefiction: Das allerletzte Angebot
Stellen Sie sich vor, Sie sind Rechtsanwalt und wachen nach einem Absturz in einer Bar an einem Ort auf, den Sie noch nie gesehen haben. Nein, nicht in der Notaufnahme des nächsten Krankenhauses, sondern in dem konservativ eingerichteten Besprechungsraum einer Rechtsanwaltskanzlei. Bei Ihnen ist Olivia, die Frau aus der Bar, und sie stellt sich als außerirdische juristische Repräsentantin einer Alienrasse vor, die sämtliche Ozeane der Welt absaugen möchte. Und Sie, als rechtsgelehrter Vertreter der Menschheit, sollen den entsprechenden Vertrag unterzeichnen. Was würden Sie tun? Meine Empfehlung: Sehen Sie sich diesen Kurzfilm an! Er zeigt Ihnen einen eleganten Ausweg aus der Klemme. Wenn Sie kein Anwalt sind, bietet Ihnen dieses Zweipersonenstück in jedem Fall spannende Unterhaltung.
Der professionell erstellte Zwölf-Minuten-Film wurde von dem kanadischen Autor und Produzenten Mark Slusky geschrieben, der auch Regie führte. Für die Rollen der beiden gegnerischen Anwälte engagierte er die profilierten kanadischen Schauspieler Aaron Abrams und Anna Hopkins. Veröffentlicht wurde der Film vom Label »Dust«, das wiederum dem Contentstudio »Gunpowder & Sky« in Los Angeles gehört. »Dust« betreibt einen eigenen Kanal auf YouTube und zeigt dort hauptsächlich Sciencefiction-Kurzfilme. Die Qualität ist schwankend, aber alle wirken professionell produziert, und einige, wie »Final Offer«, sind herausragend.
Müssen wir wirklich damit rechnen, dass Aliens zu uns kommen, um ruinöse Verträge mit uns abzuschließen? Möglich wäre das schon, denn seit mehr als 100 Jahren blasen die Menschen modulierte elektromagnetische Wellen ins All, die darauf schließen lassen, dass hier eine intelligente Lebensform wohnt. Andererseits fragt man sich natürlich, ob Aliens sich damit aufhalten würden, einen Vertrag abzuschließen, falls sie wirklich vorhaben, die Menschen um ihre Ressourcen oder ihre Lebensgrundlagen zu bringen. Wenn die Geschichte der Menschheit ein Indikator für künftige Beziehungen mit Aliens ist, dann sollten wir tatsächlich damit rechnen. Schon in der Antike galten Verträge zwischen Staaten oder Stämmen als Rechtfertigung für Landnahme oder Kriege. Julius Caesar stützte seinen Eroberungsfeldzug in Gallien auf zweifelhafte Beistandsvereinbarungen mit einzelnen gallischen Stämmen. Die USA schlossen reihenweise Verträge mit Indianerstämmen, in denen es um Landrechte, Garantien oder Umsiedlungen ging. Für die USA waren sie sehr profitabel, für die Indianer erwiesen sie sich durchweg als wertlos. Das kurzlebige deutsche Kolonialreich in Afrika beruhte zum Großteil auf Verträgen, die Abenteurer wie Adolf Lüderitz oder Carl Peters mit Stammeshäuptlingen schlossen. Darin traten die Herrscher die Rechte an riesigen Ländereien ab, die ihnen zum beträchtlichen Teil nie gehört hatten. China hadert noch heute mit den so genannten »ungleichen Verträgen«, in denen ab Mitte des 19. Jahrhunderts europäische Staaten und Japan dem siechen Kaiserreich Land abnahmen oder ungünstige Handelsbedingungen diktierten. Das hält die Chinesen heutzutage aber nicht davon ab, ihrerseits mit Kreditverträgen Machtpolitik in ganz großem Stil zu betreiben. Das Land finanziert in Afrika und Lateinamerika Infrastrukturprojekte, baut Straßen, Häfen, Eisenbahnlinien oder Flughäfen und lässt sich dafür Sicherheiten abtreten, zum Beispiel in Form von Rohstofflieferungen. Auf diese Weise kontrolliert China inzwischen die Wirtschaft ganzer Länder. Und in den letzten beiden Jahren hat der amerikanische Präsident Donald Trump wieder einmal vorgeführt, dass mächtige Staaten internationale Abkommen jederzeit aus reinem Machtkalkül kündigen oder ignorieren können.
Trotzdem haben Verträge erst einmal Vorteile, und zwar für alle Seiten. Bei gleich starken Partnern regeln sie das Zusammenleben und vereinfachen viele Prozeduren. Beide Seiten profitieren in etwa gleichermaßen. Das trägt zur Stabilität solcher Absprachen bei. Bei sehr ungleichen Partnern ergeben sich immerhin kurzfristige Vorteile. Der starke Partner verzichtet darauf, seine Ansprüche mit Gewalt durchzusetzen. Damit vermeidet er, sich gegenüber ähnlich mächtigen Rivalen rechtfertigen zu müssen. Außerdem ist Gewaltanwendung mit hohem Aufwand und unkalkulierbaren Verlusten verbunden. Ein Vertrag hingegen sichert der stärkeren Seite die Mitarbeit der Regierung des Vertragspartners bei der Durchsetzung eigentlich unfairer Ansprüche. Die Herrscher der schwächeren Seite profitieren ebenfalls. Einen Krieg könnten sie nur verlieren, und das würde sie mit Sicherheit ihren Posten, wenn nicht ihren Kopf, kosten. Außerdem gewinnen sie Zeit, um Widerstand zu organisieren. Sie dürfen auch hoffen, dass die stärkere Seite die Verträge tatsächlich respektiert. Bei den Verträgen der expandierenden USA mit den Indianern im 19. Jahrhundert zeigte sich jedoch, dass man sich darauf besser nicht verlässt. Letztlich wahrt ein Vertrag zunächst einmal den Schein, man habe sich friedlich geeinigt und eine feste Absprache zum gegenseitigen Nutzen getroffen. Was daraus wird, zeigt sich erst später.
Aber sind diese Argumente universell gültig oder entspringen sie nur den Grundstrukturen menschlichen Zusammenlebens? In der Geschichte aller Völker spielen mündliche und schriftliche Absprachen eine bedeutsame Rolle, und man darf annehmen, dass auch Aliens zunächst einmal versuchen werden, mit den Menschen Verträge abzuschließen, bevor sie zu anderen Mitteln greifen. Im Kurzfilm findet der Anwalt in letzter Sekunde einen Passus, der die Menschheit rettet, und bekommt wegen seines Verhandlungsgeschicks ein Jobangebot der galaktischen Kanzlei. In der Realität sollten wir uns darauf besser nicht verlassen, aber das ist glücklicherweise vorläufig noch Sciencefiction.
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