Interview: Sind Wissenschaftler (auch) Menschen?
Mai, du hast kürzlich deine Doktorarbeit in Chemie verteidigt. Darf man gratulieren?
Ja, darf man, danke! Ich bin mit der Promotion durch.
Worum ging es in der Arbeit?
Ich habe an Hydrogelen geforscht. Die kennt man im Alltag von Haargel, Kontaktlinsen oder Wackelpudding, Stoffe, die hauptsächlich aus Wasser bestehen. In der Medizin werden sie genutzt, um künstliches Gewebe herzustellen. Dabei dienen Hydrogele als zwei-oder dreidimensionales Gerüst, eine Art Stützkorsett, auf dem Zellen wachsen können. Außerdem kann man mit den Eigenschaften der Hydrogele das Wachstum der Zellen steuern. Ich selbst habe mit Biologen zusammengearbeitet, um neue Hydrogele genau für dieses Tissue Engineering zu entwickeln.
Gleichzeitig hast du mehrere YouTube-Kanäle am Start, unter anderem "The Secret Life of Scientists" und "schönschlau". Was willst Du mit ihnen erreichen?
Die ursprüngliche Idee hinter "The Secret Life of Scientists" war, Menschen von der Vorstellung zu befreien, Wissenschaft sei langweilig und zu kompliziert, als dass man sich mit ihr beschäftigen könne. Mir ist damals aufgefallen, dass in der ganzen medialen Aufbereitung von Wissenschaft eines fehlt: der Wissenschaftler als Mensch. Forscher sieht man immer im Labor oder vor einem Bücherregal. Keiner weiß etwas Persönliches über diese Spezies. Sind das coole Menschen? Haben die vielleicht auch Hobbys? Oder sogar Freunde? Ich gebe also Einblicke in das bislang geheime Leben der Wissenschaftler. Dabei spiele ich viel mit den gängigen Stereotypen. Daneben stelle ich aber auch den Laboralltag und interessante Studien vor.
Woher nimmst du Deine Ideen?
Ich verfolge viel Populärwissenschaftliches wie Spektrum der Wissenschaft oder Zeit Wissen. Besonders hellhörig werde ich, wenn wissenschaftliche Studien es in die allgemeinen Medien schaffen. Oft sind die Überschriften zu Wissenschaftsmeldungen sehr spektakulär. Ich suche mir dann die Originalveröffentlichungen heraus. Nicht selten werden diese Studien in den allgemeinen Medien irreführend oder sogar falsch dargestellt, und darüber kläre ich dann meine Zuschauer auf. Außerdem habe ich während meiner Arbeit im Labor Ungewöhnliches aus der Wissenschaft über meine Kollegen mitbekommen. Auf diesem Weg habe ich z.B. von einer kuriosen Studie erfahren, in der Forscher gemessen haben, mit welchem Druck Pinguine kacken.
Du versuchst aber oft auch Alltagsthemen aufzugreifen wie "Macht Kälte krank?" oder du gibst Tipps gegen Prokrastination.
Vor allem bei "schönschlau" möchte ich zeigen, wie nahe Alltagsthemen mit Wissenschaft zusammenhängen. Ich gehe viel auf Zuschauerfragen ein, die sich im Alltag ergeben.
Könntest du dir vorstellen, auch komplexere Themen anzugehen?
Interessant, dass du fragst. In der zweiten Staffel von "schönschlau" möchten wir neben kürzeren Videos auch Videoreihen oder Reportagen mit Interviews machen, etwa zu Tierversuchen. Themen, die viele Facetten haben und eher ernsthaft sind.
"schönschlau" wird von funk produziert, einem Online-Angebot von ARD und ZDF für eine junge Zielgruppe. Wie läuft denn die Zusammenarbeit mit den Öffentlich-Rechtlichen?
Ich habe eigentlich alle Freiheiten, das ist ganz angenehm. Wie bei "The Secret Life of Scientists" drehe ich meine Videos alleine zu Hause. Meine Kollegin vom SWR bearbeitet die Folgen dann weiter und fügt Animationen, Sounds und Musik hinzu. Es gibt danach zwar eine Abnahme der Videos durch funk. Aber da gab es bisher noch keinerlei inhaltliche Vorgaben oder Veränderungen.
Und wie läuft das mit der Finanzierung?
Die Zusammenarbeit mit funk gibt mir finanzielle Freiheit. Ich bin in Vollzeit beschäftigt und nicht auf Werbung auf dem Kanal angewiesen. Wofür sollte ich auch bei Wissenschaft guten Gewissens Werbung machen? Für Laborhandschuhe?
Ok, über die GEZ-Gebühren, die uns ja letztlich auch finanzieren, kann man sich sicherlich streiten. Da bekommen wir immer wieder Beschwerden von Usern, die uns wegen der "Zwangsgebühren" als "Verbrecher" beschimpfen. Aber in das Onlineangebot der Öffentlich-Rechtlichen fließt ja nur ein sehr kleiner Teil der Gebühreneinnahmen. Und Webvideos sind im Schnitt sicher auch deutlich günstiger als TV-Produktionen.
Du gehst deine Themen ziemlich ironisch und humorvoll an. Einige deutsche YouTube-Kanäle wirken eher, als wollen sie krampfhaft lustig sein. Das fällt gerade im Vergleich zu Kanälen aus den USA auf. Ist Humor in Deutschland eine schwierige Angelegenheit?
Das weiß ich gar nicht so genau. Als ich noch in den USA studiert habe, hatte ich bei "The Secret Life of Scientists" oft amerikanische Forscher vor der Kamera. Die waren meist sehr locker und hatten ein großes Sendungsbewusstsein. Die USA sind nun mal das Mutterland des Entertainment und auch von YouTube. In Deutschland hingegen gibt es aus der Forschung auch sehr viele konservative Stimmen, die unterhaltsame Wissensvermittlung ablehnen. Vielleicht sind das Mentalitätsunterschiede zwischen Deutschland und den USA.
Mai, ein Blick in die Zukunft: Wirst du zweigleisig fahren, neben YouTube etwa als Chemikerin arbeiten?
Zweigleisig werde ich sicherlich nicht unterwegs sein. Mit der Wissenschaftskommunikation verbringe ich jetzt schon mehr Zeit als mein Mann bei seiner Arbeit in der Chemieindustrie, und er arbeitet schon viel. Ich nehme mir jetzt erst einmal ein Sabbatjahr und schaue mir an, wie es mit der Wissenschaftskommunikation läuft. Danach sehe ich weiter.
Das Interview führte Christian Wolf
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